
Im Kleinbus durch Shanghai
08.04.2025
China gehört zu den wichtigsten Märkten des Dürr-Konzerns. Vorstandschef Dr. Jochen Weyrauch und das Konzernmanagement haben das Land im November fast zwei Wochen bereist – um dessen schnellen Wandel zu erkunden und um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die Gruppe gelangte zu aufregenden Erkenntnissen.
Die Grenzbeamten im Flughafen Pudong kontrollieren den Pass von Jochen Weyrauch und lächeln ihm zu. Dann tritt der Konzernchef durch das Portal ins Freie. Über Shanghai schiebt sich die Sonne durch den Dunst. Frisches Novemberlüftchen bei 16 Grad. Gutes Wetter für einen Städtetrip.
Doch für Sightseeing an der kolonialen Uferpromenade oder Shopping in der quirligen Nanjing Road hat der Vorstandsvorsitzende keine Zeit. Er ist fast zwei Wochen von morgens bis abends durchgetaktet. Mit neun Personen des Konzernmanagements und den Geschäftsführern der chinesischen Gesellschaften wird er die Standorte von Dürr, Schenck, HOMAG und BBS Automation im Raum Shanghai besuchen. Er wird einheimische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter treffen, Kunden, aber auch Berater und Investmentbanker. Und er wird viel zuhören. „China verändert sich schnell, es ist wichtig, diesen Wandel zu verstehen“, sagt Weyrauch.
Das Land hat strategische Bedeutung für den Dürr-Konzern. Das Unternehmen kam schon 1983 in die Volksrepublik, um einen Lacktrockner für Volkswagen zu bauen. Heute ist China nach den USA der wichtigste Einzelmarkt von Dürr. 16 Prozent des Umsatzes kommen aus der Volksrepublik mit seinen fast eineinhalb Milliarden Einwohnern. Alle Divisions des Konzerns betreiben in China große Standorte. Von hier aus bedienen sie Industriebetriebe mit Lackieranlagen, Holzverarbeitungsmaschinen oder Auswucht- und Automatisierungstechnik. In den vergangenen Jahren hat sich das Land außerdem zu einer Basis entwickelt, von der aus Schwellenländer des globalen Südens beliefert werden.
Im Kleinbus durch den Großstadtdschungel
Ein sandfarbener Toyota-Kleinbus holt Weyrauch und seine Gruppe jeden Tag um 8 Uhr ab. Das Hotel liegt 13 Kilometer westlich des Zentrums – für chinesische Großstädte ist das ziemlich zentral. Der Verkehr in der Stadt mit 25 Millionen Einwohnern ist unberechenbar. Für fünf Kilometer kann man zehn Minuten brauchen oder eine Stunde.
Doch auch die Zeit im Stau lässt sich nutzen, um ins Notebook zu tippen, sich auszutauschen oder nur zu beobachten. Wie hat sich Shanghai verändert? Was sticht zuerst ins Auge? „Die Stadt wird immer grüner“, sagt Weyrauch, der vor mehr als 30 Jahren zum ersten Mal dort war. Straßen und Beton sind nicht mehr das Einzige, was die Metropole prägt. Die Verwaltung hat Parks angelegt und Bäume gepflanzt. Auch die Außenbezirke wirken lebenswerter als früher. Es scheint, dass man sich nach den schwierigen Covid-Jahren bemüht, die Lebensqualität weiter zu verbessern.
Reisejournal Q&A
Was hat Ihr Bild von China am meisten geprägt?
Jochen Weyrauch: Die Geschwindigkeit, mit der sich das Land und seine Gesellschaft entwickeln. Die Zielstrebigkeit der Unternehmen und Menschen ist sehr beeindruckend. Ins Auge fällt, wie reibungslos die Abläufe des täglichen Lebens funktionieren, beispielsweise die Pünktlichkeit der Verkehrsmittel oder ein einfaches Umbuchen per App. Die Menschen in China lieben technische Spielereien, die sich in fast allen Produkten zunehmend wiederfinden. Beim Smartphone genauso wie beim Auto.
Was sind denn das für Autos?
Durch die großen Scheiben des Busses lässt sich auch prima verfolgen, welche Fahrzeuge unterwegs sind. „Vor einigen Jahren waren hier westliche und japanische Automarken dominant“, sagt Weyrauch. Heute prägen auch chinesische Hersteller das Bild. Ein Beispiel ist die Marke Avatr. Sie gehört einem Joint Venture aus den chinesischen Automobilherstellern Changan und Nio. Auch der Technologiekonzern Huawei und der Batteriehersteller CATL sind an Bord. Das Spitzenmodell hat mehr als 500 PS, soll bis zu 700 Kilometer elektrisch fahren und das weitgehend autonom. Im Innenraum besticht edles Leder statt einfachen Kunststoffs. Und das Ganze für 50.000 Euro Neupreis. Im Dürr-Kleinbus sitzen viele Manager, die sich mit Produktionskosten von Autos auskennen. Sofort entspinnt sich eine angeregte Diskussion.
Um 8:30 Uhr stoppt der Bus auf dem Firmenhof von HOMAG in Shanghai. Die Besichtigung der Standorte wird auch in den nächsten Tagen nach dem gleichen Muster verlaufen. Zunächst wird die Produktion angeschaut, dann kommen Gespräche mit dem lokalen Management und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort.
Der Hersteller von Holzbearbeitungsmaschinen fertigt zu diesem Zeitpunkt weniger als sonst. Die Gründe dafür diskutiert das Management am frühen Abend mit einem Berater und Investmentbanker, der seit Langem in China lebt. Der Vorstand hat ihn als Experten eingeladen, um seine Analyse zum Wandel in China und zur aktuellen Lage zu hören.
Die chinesische Wirtschaft wächst weiter, wenn auch nicht im selben Tempo wie vor der Pandemie. Unternehmen, die gute Ideen haben, schnell und günstig produzieren, haben gute Chancen, auch weiterhin erfolgreich zu sein, so der Experte. Der Staat wolle westliche Firmen nicht aus dem Markt drängen, sondern Wettbewerb und Innovation befeuern. Dass dies so ist, wird an den anderen Konzernstandorten deutlich. Sie produzieren zum Teil so viel, dass die Logistikflächen knapp werden.
Aber heißt es nicht, China subventioniere seine Schlüsselbranchen und könne dadurch vieles billiger anbieten als ausländische Wettbewerber? Weyrauch weist dies nicht von der Hand, sieht aber auch die andere Seite. Im Gespräch mit Menschen vor Ort stelle er immer wieder fest, dass sie einen anderen Blick auf das Thema haben. So werde in China zum Beispiel die Landwirtschaftspolitik der EU skeptisch gesehen, weil sie den Zugang zum Binnenmarkt erschwere.
Reisejournal Q&A
Was haben Sie als Herausforderung empfunden?
Jochen Weyrauch: Ich beobachte sehr aufmerksam, wie gut die Produkte der chinesischen Unternehmen mittlerweile sind. Während der Corona-Zeit hat sich das Land in Schlüsselbranchen wie der Autoindustrie sehr schnell entwickelt, quasi unbemerkt vom Westen. Mittlerweile können es viele Firmen problemlos mit Technologieführern aus aller Welt aufnehmen, wobei die Produkte dieser Firmen oft deutlich weniger kosten. Wer in Zukunft auf dem chinesischen Markt erfolgreich sein will, sollte diese Entwicklung genau verfolgen und schauen, was er lernen kann.
Rotwein aus dem Reich der Mitte
Dass sich im Land viel bewegt, wird auch beim Abendessen im Restaurant deutlich. An einem traditionellen Rundtisch mit drehbarer Platte werden Teigtaschen, Fleisch- und Fischstücke sowie scharf gewürztes Gemüse serviert. Dazu gibt es Rotwein – nicht aus Europa, Südafrika oder Australien, sondern aus China. „Für mich als Weinliebhaber aus der Pfalz war die Verkostung der chinesischen Tropfen eine spannende Erfahrung“, so Weyrauch. Weinberge mit Cabernet Sauvignon, Merlot oder Pinot Noir sind in der Volksrepublik keine Seltenheit mehr. Im Gegenteil: Was die Größe des Anbaugebiets betrifft, kann China heute mit Frankreich mithalten. Auch der Weinkonsum ist in den vergangenen 20 Jahren deutlich gestiegen.
Der Wandel macht selbstbewusst. Wer chinesischen Geschäftsleuten begegne, der merke schnell, wie souverän sie auftreten, sagt Weyrauch. Sie sind stolz auf das, was sie und ihr Land in den vergangenen Jahrzehnten erreicht haben.
Fragen aus der App
Das wird beim Besuch von Dürr Paintshop Systems in Shanghai deutlich. Auf dem Programm steht eine Mitarbeitendenversammlung am Standort. Die Beschäftigten versammeln sich zahlreich in der Kantine, noch mehr verfolgen die Versammlung online. In einer interaktiven App tippen sie Fragen ins Smartphone, die auf einer Großleinwand in der Kantine erscheinen.
Wie sich die Neuorganisation des Lackieranlagengeschäfts von Dürr vor Ort auswirken wird, will einer wissen. Ob das mit Versetzungen verbunden ist, fragt ein anderer. Oder welche Folgen ein möglicher Handelskonflikt nach der Wahl von Donald Trump für Dürr in China hätte. Das Interesse, direkt vom Vorstand Antworten zu erhalten, ist groß.
Erfolg beflügelt – erst recht in China
Für die Menschen in China ist es sehr wichtig, für ein erfolgreiches Unternehmen zu arbeiten. Wachstum gilt bei den Beschäftigten als attraktiv, sichert es doch die Arbeitsplätze. Das lässt sich beim Besuch von BBS Automation beobachten. Das Chinageschäft der jungen Automatisierungstochter des Konzerns wächst stark. „Als wir am Abend über den Campus gingen, war ein großer Teil der Büros noch besetzt“, erzählt Weyrauch. Die Überstunden werden natürlich bezahlt. Wenn jemand sehr spät nach Hause fahren muss, darf er auf Firmenkosten ein Taxi rufen.
Die Bahn ist pünktlich
Am späten Abend kommt man auf den mehrspurigen Straßen der Region meist gut voran. Tagsüber nimmt man lieber die Bahn. Das gilt auch für den Konzernchef, der am nächsten Tag in der 500 Kilometer entfernten Industriemetropole Hefei Kunden besuchen will. Der Hochgeschwindigkeitszug ist auf die Sekunde pünktlich. In der ersten Klasse gibt es bequeme Sitze, die sich in Fahrtrichtung drehen lassen. Internet ist kein Problem – das WLAN funktioniert einwandfrei.
Digitaltechnik ist in China total wichtig. Je ausgefallener, desto besser. Im Zug sitzen überall Menschen, die sich mit neuen Apps auf ihrem Smartphone beschäftigen. „Ich lade mir zu Hause auch gern neue Anwendungen runter und probiere sie aus”, sagt Weyrauch. Es sei interessant zu sehen, wie technikverliebt die Chinesen sind und wie originell die Apps.
Wer das Smartphone schüttelt, kann zufällige Kontakte in der Nähe finden. Wer im Schnellrestaurant sein Gesicht scannt, erhält ein Gericht zusammengestellt, das seinem Geschlecht, Alter und seiner Stimmung entspricht. Fahrzeuge begrüßen ihre Fahrerinnen und Fahrer beim Einsteigen mit einem freundlichen „Hello“, das sie als Hologramm auf die Windschutzscheibe projizieren.
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Was hat Sie an den Menschen in China besonders beeindruckt?
Jochen Weyrauch: Das Selbstbewusstsein, mit dem die Geschäftsleute im Land auftreten. Früher hatte ich oft den Eindruck, dass man zum Gegenüber aus etablierten Industrieländern aufschaut. Jetzt reden wir auf Augenhöhe. Die Menschen sind stolz auf das, was sie erreicht haben – und ich denke, zu Recht.
Gedanken über den Wolken
Wie müssen also Maschinen und Anlagen eines deutschen Unternehmens beschaffen sein, damit sie sich in China verkaufen? Was müssen sie neben technischen Spielereien aufweisen? Diese Fragen treiben Weyrauch bei seinen Kundenbesuchen um – zum Beispiel beim Geschäftsessen bei dem E-Auto-Bauer Nio. Wie blickt dessen Vorstand auf Europa? „Man schätzt Technologie aus Deutschland weiterhin, hat aber den Eindruck, dass wir uns in Regularien verlieren und dadurch zu langsam werden“, erzählt Weyrauch. Mit jedem Gespräch festigt sich das Bild. In China entwickelte Autos, Maschinen und Anlagen werden immer besser und sind kostengünstig. Ausländische Firmen, die in China erfolgreich sein wollen, müssen da mithalten können. Eine Voraussetzung dafür ist, vor Ort stark vertreten zu sein, um den Kunden zuzuhören, Trends zu erkennen und wettbewerbsfähig zu sein. Darauf setzt der Dürr-Konzern schon lange.
Vor dem Rückflug am Gate in Pudong zieht der Konzernchef ein Fazit der Chinareise: „Traditionelle Ingenieurslösungen, die Perfektion anstreben, bringen uns hier auf lange Sicht nicht weiter.“ Europäische Unternehmen sollten Forschung und Entwicklung vor Ort stärken und den chinesischen Tochterunternehmen dafür mehr Freiraum geben. Denn die wissen besser, worauf es auf ihrem Heimatmarkt ankommt. So lassen sich auch die Beziehungen zu Kunden in China intensiver pflegen.
Als die Maschine abhebt, verschwindet Shanghai im Herbstdunst. Wolken umhüllen das Flugzeug. Weyrauch schließt kurz die Augen – in Deutschland gibt es viel zu tun.
- Begleiten Sie Konzernchef Dr. Jochen Weyrauch und ein Team aus der Produktion auf ihrem Weg durch Bauklötze, Quizkarten und Bambusstöcke: → Einsturzsichere Werte
- Unterwegs mit Konzernchef Dr. Jochen Weyrauch und Gründerin des Unternehmens right°, Hannah Helmke: → Klima, Fakten und Emotionen

Martina
Bausch
Officer Online Magazine
Corporate Communications & Investor Relations
Dürr Aktiengesellschaft
Carl-Benz-Str. 34
74321 Bietigheim-Bissingen
Deutschland
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