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Hannah Helmke in conversation with Jochen Weyrauch

Klima, Fakten und Emotionen

Der Kampf gegen den Klimawandel ist die größte Menschheitsaufgabe unserer Zeit. Um dieser Herausforderung zu begegnen, brauchen Unternehmen neue, manchmal ausgefallene Ideen. Deshalb trifft Dürr-Vorstandschef Dr. Jochen Weyrauch die Unternehmerin Hannah Helmke. Gemeinsam mit ihrem Team bei right° hat die 34-jährige Gründerin ein Berechnungsmodell entwickelt, das Konzerne anspornen soll, ihren CO2-Ausstoß zu senken. Ein Dialog über die Macht von Zahlen und Gefühlen. 

Weyrauch: Schön, dass Sie heute hier sind und wir uns austauschen. Ich will mehr über Ihr Unternehmen right° wissen. Sie bieten eine Software an, die Unternehmen unmissverständlich zeigt, wie stark sie das Klima beeinflussen. Das ist ein wichtiges Thema. Es brennt nicht nur uns, sondern auch unseren Aktionären und Kunden unter den Nägeln. Wie ist die Geschäftsidee entstanden?

Helmke: Ich hatte mich schon vor mehr als zehn Jahren gefragt, wie sich ein besseres Verständnis für die Folgen des Klimawandels in die Unternehmenswelt tragen lässt. Da bin ich auf ein Papier der Großbank HSBC gestoßen. Es erklärte, warum es auch finanziell gefährlich ist, weiter fossile Brennstoffe zu verfeuern. Ich war begeistert. Endlich brachte jemand das Thema für die Kapitalmärkte verständlich auf den Punkt. Daraus entstand die Idee, ein wissenschaftlich robustes Rechenmodell zu entwickeln, mit dem Unternehmen ihre Exposition gegenüber Klimarisiken jederzeit messen können. Bei meinen damaligen Arbeitgebern ist es mir nicht gelungen, das Vorhaben umzusetzen. Ich war aber so getrieben von dieser Idee, dass ich nicht anders konnte, als ein eigenes Unternehmen zu gründen.   

Weyrauch: Wie ist die Gründung abgelaufen? Sie haben das Unternehmen mit einem Partner aufgebaut. Gab es da eine Arbeitsteilung?

Helmke: Das Unternehmen habe ich mit Sebastian Müller gegründet, der zugleich mein Lebenspartner ist. Wir teilen die Idee, unser Leben frei zu gestalten. Ein eigenes Unternehmen sehen wir als höchste Stufe der Freiheit. Sebastian hat während der Gründungsphase erst mal weiter als Jurist gearbeitet. Als wir den Eindruck hatten, das Unternehmen gibt uns genug Sicherheit, hat er die Kanzlei verlassen und ist voll eingestiegen. 


Ich bin selbst oft wütend – weil so viele Dinge so viel besser laufen könnten.

Hannah Helmke, Gründerin der Firma right°

Weyrauch: Ist es unter diesen Bedingungen nicht schwer, Berufliches und Privates zu trennen?

Helmke: Am Anfang war das nicht einfach. Wir haben in Frankfurt in einem Industrieloft gewohnt und gearbeitet. Manchmal fanden dort Firmen-Events mit 60 Personen statt. Unseren offenen Schlafbereich haben wir solange zugestellt. Als Gäste und Catering weg waren, haben wir gemerkt, wie schwierig es ist, im Kopf wieder im Privatleben anzukommen. Mittlerweile können wir besser damit umgehen.  

Weyrauch: Der Klimawandel gilt als größtes Problem unserer Zeit. Viele Menschen fühlen sich ohnmächtig. Sie hingegen gehen aktiv auf die Unternehmen zu. Was genau bieten Sie an?

Helmke: Wir zeigen Firmen, um wie viel Grad sich die Erde erwärmen würde, wenn die ganze Welt genauso handeln würde wie sie selbst. Wenn wir einem Geschäftsführer sagen, dass sein Unternehmen das im Pariser Abkommen vereinbarten Temperaturziel nicht erreicht, dann packen wir ihn bei seinem Ehrgeiz. Vielleicht reagiert er wütend oder ärgerlich. Diese Emotionen sind wichtig. Wir nutzen sie als Türöffner, um in einen sachlichen Austausch zu kommen und ein Umdenken herbeizuführen.  

Weyrauch: Wir im Dürr-Konzern kaufen seit 2022 in Deutschland nur noch Grünstrom, ab diesem Jahr wird das weltweit der Fall sein. Wir bauen auch die Photovoltaik aus und werden bald nur noch elektrische Dienstwagen fahren. Mit Ihrem Rechenmodell könnte unser Unternehmen also zu jedem Zeitpunkt sehen, was welche Maßnahme im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit dem globalen 1,5-Grad-Ziel bringt?  

Helmke: Genau das. Und je nach Branche verstehen manche Entscheidungsträger erst dann, dass sie ihr Geschäftsmodell anpassen müssen, um die Zukunft ihres Unternehmens nicht aufs Spiel zu setzen. 

Weyrauch: Sie verfolgen mit Ihrer Geschäftsidee einen sachlichen Ansatz, betonen aber auch die Gefühle als Motor menschlichen Handelns. Was denken Sie über Klimaaktivistinnen und -aktivisten, die emotional und zum Teil radikal agieren?  

Helmke: Es steht mir nicht zu, das zu bewerten. Die Menschen, die in Lützerath und anderswo blockieren und protestieren, fühlen sich hilflos und versuchen, mit ihrer Wut umzugehen. Das verstehe ich, denn ich bin selbst oft wütend – weil so viele Dinge so viel besser laufen könnten. Ich habe mich aber entschieden, meine Wut in konstruktive Energie umzuwandeln, um ein System zu verbessern, das ich verbesserungswürdig finde.  

Weyrauch: Da gebe ich Ihnen weitgehend Recht. Zwar muss selbst ein berechtigter Protest Grenzen haben. Aber ich denke auch, dass oft erst Emotionen die Dinge in Bewegung bringen und den Weg für Sachargumente ebnen. Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, wollen Sie auf diese Weise unser Wirtschaftssystem von innen heraus verändern.  

Helmke: Genau, es hat keinen Zweck, gegen das System zu kämpfen, sondern man muss lernen, mit ihm zu arbeiten. Auch deshalb versuche ich zu verstehen, wie Unternehmen und Manager ticken. Dazu passt meine Frage an Sie: Wie beeinflusst der Klimawandel Ihr persönliches Verhalten?

Weyrauch: Ich gebe zu, dass ich privat nicht immer total nachhaltig unterwegs bin. Ich esse Fleisch und bin leidenschaftlicher Hobbypilot. Aber das Thema arbeitet seit Längerem in mir, als Privatperson und als Vorstandsvorsitzender. 


Ich denke, die Entwicklung zum nachhaltigen Unternehmen wird diese Zeit prägen.

Dr. Jochen Weyrauch, Vorstandsvorsitzender der Dürr AG

Helmke: Wir sind bezüglich Klima im Jetzt-oder-Nie-Moment. In ihrer Position können Sie also viel bewirken. Für was soll Ihre Zeit als Konzernchef einmal stehen?

Weyrauch: Ich denke, die Entwicklung zum nachhaltigen Unternehmen wird diese Zeit prägen. Schließlich hat Dürr mit seinen Produkten wirkungsvolle Hebel. Lackieranlagen stehen für fast die Hälfte des in einer Automobilfabrik entstehenden Treibhausgasausstoßes. Heute ist es technisch möglich, diese Emissionen auf null runterzufahren, indem man Anlagen von Gas auf grünen Strom umstellt. Gerade bauen wir in Ungarn die erste klimaneutrale Lackierstraße. Natürlich entscheiden letztlich die Kunden, ob sie sich eine saubere Anlage leisten wollen.  

Helmke: Sollen also die Kunden die Richtschnur Ihres Handelns bestimmen oder wollen Sie das selbst machen?   

Weyrauch: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den CO2-Ausstoß unserer Lieferkette und die Emissionen, die durch die Nutzung unserer Produkte entstehen, bis 2030 um mindestens 15 Prozent zu senken. Möglicherweise müssen wir dafür Aufträge ablehnen, wenn die gewünschten Anlagen moderne Umweltstandards nicht erfüllen.   

Helmke: Wollten Sie auch mal ein eigenes Unternehmen gründen?

Weyrauch: Ja, aber in anderer Form als Sie. Nach dem Abitur habe ich eine Zeit lang überlegt, in Paris ein Motorradgeschäft zu eröffnen. Von der Idee habe ich mich aber schnell verabschiedet. Danach bin ich zumindest unternehmerische Risiken eingegangen. Mitte der 2000er-Jahre habe ich als Manager einen Teil des von mir damals geführten Unternehmens gekauft und mehrere Jahre geleitet. Anschließend war ich als selbstständiger Berater in der Private-Equity-Branche tätig.  

Helmke: Sie haben vorhin angedeutet, dass Sie viel über die Folgen des Klimawandels nachdenken. Sehen Sie das Thema auch als intellektuelle Herausforderung?

Weyrauch: Auf jeden Fall! Ich liebe es zu lernen. Sehr gern auch von jungen Leuten aus unserem Unternehmen. In den Gesprächen geht es oft zur Sache. Das finde ich gut. Als intellektuelle Herausforderung sehe ich in dem Zusammenhang auch den Einsatz von digitalen Werkzeugen. Durch sie erhalten wir Hinweise, wie wir unseren Treibhausgasausstoß weiter vermindern können. Wie wichtig das ist, beweist Ihr Geschäftsmodell – zu dem ich übrigens noch eine Frage habe: Wo wollen Sie in fünf Jahren stehen? Haben Sie eine Vision?

Helmke: Klar. Wir wollen der Standard sein, mit dem man die Klimawirkung eines Unternehmens misst, steuert und kommuniziert. Außerdem haben Sebastian und ich die Vision, dass wir in fünf Jahren durch und mit right° unsere persönliche Freiheit und Unabhängigkeit voll ausleben können.

Die Gesprächspartner

 

Hannah Helmke

Die 1988 geborene Unternehmerin studierte Psychologie und International Business. Vor der Gründung von right°, arbeitete sie für einen IT-Dienstleister und die Deutsche Post/DHL.   
 

Dr. Jochen Weyrauch

Der Wirtschaftsingenieur hat viele Jahre in der Automobilwirtschaft sowie anderen Industriebranchen gearbeitet und war als Private-Equity-Berater tätig. Seit 2017 sitzt Weyrauch im Vorstand der Dürr AG, den er seit 2022 führt. 
 

 

Das macht right°

Kern des Geschäfts der → Firma right° ist ein Modell, das errechnet, wie stark ein Unternehmen das Klima beeinflusst. Mit einer einfachen Gradzahl beantwortet es die Frage, wie sehr sich die Erde erwärmen würde, wenn die ganze Welt die gleiche Klima-Performance hätte wie dieses Unternehmen. Messlatte für gutes oder schlechtes Abschneiden ist das im Pariser Abkommen festgelegte Temperaturziel. Es besagt, dass der menschengemachte Temperaturanstieg gegenüber dem vorindustriellen Niveau auf höchstens 1,5 Grad begrenzt werden soll. Liegt die Klimawirkung eines Unternehmens deutlich darüber, gilt es als nicht zukunftsfähig.   

Das Modell basiert auf den aktuellen Erkenntnissen der Klimawissenschaft. Bestandteil ist ein Klimamodell, das auch der Weltklimarat IPCC verwendet. Die grundlegende Methodik hat ein Begutachtungsverfahren durchlaufen, um die wissenschaftliche Qualität zu prüfen. Kunden können eine Basisversion der Software kostenlos nutzen. Für eine umfassendere Analyse müssen sie eine Lizenz kaufen.