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Nicht so dick aufgetragen

Die gleichmäßige Farbschicht ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal für Autos. Lackieranlagen darauf abzustimmen ist aufwendig. Eine neue Simulationssoftware von Dürr erleichtert diese Aufgabe und vermindert die Zahl der Tests mit echten Karosserien.

Der Mauszeiger wandert über die virtuelle Karosserie und bleibt über der Motorhaube stehen. Tjark Bringewat hat eine Problemzone entdeckt. „Hier wird zu wenig Lack aufgetragen“, sagt der Software-Entwickler und beschreibt mit dem Cursor kleine Kreise auf der entsprechenden Stelle. Dann variiert er immer wieder die Einstellungen des Programms und startet neue Simulationen.

Tjark Bringewat arbeitet in der Digital Factory von Dürr, einem abteilungsübergreifenden Software-Kompetenzzentrum. Er hat sichtlich Spaß an dem digitalen Werkzeug, das er mitentwickelt hat. Es handelt sich um ein neues Modul, das eine bereits bestehende Anwendung noch besser macht. Mit der Dürr-Software DXQ3D.onsite konnte man bislang die Arbeit von Lackierrobotern programmieren und simulieren. Auf dem Bildschirm ließ sich überprüfen, ob die Roboter auf ihren vorprogrammierten Bahnen alle relevanten Punkte entlang der Karosserie erreichen und welchen Freiraum sie brauchen, um sich nicht ins Gehege zu kommen. Außerdem konnten Anwender mithilfe des digitalen Zwillings die Einhaltung der vorgesehenen Taktzeit überprüfen. „Nun lässt sich auch die Schichtdicke des Lacks vom Schreibtisch aus abschätzen, visualisieren und digital optimieren“, sagt Bringewat.

Automobilhersteller hatten sich dieses zusätzliche Modul gewünscht. Denn es vereinfacht die aufwendige Konfiguration von Lackierstraßen erheblich. Diese Arbeit ist immer dann notwendig, wenn eine Anlage neu in Betrieb geht, sich der Lack ändert oder das zu lackierende Fahrzeugmodell wechselt. Ein fünfköpfiges Team aus Software-Entwicklern und Applikationstechnikspezialisten hat zwei Jahre lang an dem neuen digitalen Werkzeug gearbeitet.

Bestens gelaunt werfen Christoph Heckeler und Tjark Bringewat gemeinsam einen Blick auf das Simulationstool.

Die Schichtdicke des Lacks lässt sich vom Schreibtisch aus optimieren.

Tjark Bringewat , Software-Entwickler

Weniger Karosserien gehen in den Schrott

Bevor eine Lackierstraße anläuft, muss ein Expertenteam alle Abläufe genau einstellen. Dabei spielen Größe und Form der Karosserien eine Rolle, aber auch die Farbe und die Art des Lacks. Alle Kenngrößen müssen aufeinander abgestimmt sein, bevor der Betrieb losgehen kann. Das dauert Wochen und ist teuer. Denn die Hersteller müssen dafür extra Karosserien bereitstellen und sie versuchsweise durch die Lackierstraße schicken. Nach jedem Testlauf wird nach Fehlern gesucht und die Konfiguration bei Bedarf angepasst. Je nach Modell kann es sein, dass zehn oder mehr Karosserien lackiert und anschließend verschrottet werden. Mit der neuen Software hingegen lassen sich die Einstellungen für eine möglichst gleichmäßige Lackschicht schon am PC so gut optimieren, dass ein großer Teil der aufwendigen Testläufe entfallen kann.

Karosserien zu lackieren ist eine Wissenschaft für sich: An jedem Punkt muss die passende Menge Lack auftreffen. Wie viel das jeweils ist, lässt sich im Vorhinein nicht so einfach bestimmen. Denn Karosserien sind komplexe Gebilde. Wandert der Roboterarm mit dem Zerstäuber über eine kühn geschwungene Motorhaube, kann die Farbschicht an verschiedenen Punkten unterschiedlich dick ausfallen.

Probleme wie dieses lassen sich mit dem neuen Tool einfach lösen. Das Programm erstellt ein eigenes 3-D-Dateiformat der Karosserie. Es berücksichtigt nur die für die Simulation notwendigen Informationen. Das vermindert den Speicherplatz und die Rechenzeit und hat einen entscheidenden Vorteil: Die Simulation lässt sich nicht nur auf Großrechnern durchführen, sondern auch auf normalen Computern, wie sie in Lackieranlagen verbaut sind. Per Mausklick können die Karosserien innerhalb weniger Minuten virtuell lackiert werden.

Zum Beweis startet Tjark Bringewat die Software auf seinem Notebook. Mehrere übersichtliche Schaltflächen erscheinen auf dem Bildschirm, in der Mitte eine Karosserie. Sie wird von vier animierten Robotern flankiert, die Lack versprühen. Noch ist die Karosserie schwarz, doch allmählich entstehen verschiedene Farbfelder. Sie zeigen die Dicke der Lackschicht in den verschiedenen Bereichen der Karosserie an. Rot gefärbte Felder deuten darauf hin, dass die Lackschicht zu dick ist, blaue Stellen hingegen könnten noch mehr Lack vertragen, erläutert Bringewat.

5 Min

braucht das Simulationstool in etwa, um eine PKW-Karosserie virtuell zu lackieren

3D

Visualisierungen der Karosserie veranschaulichen das Lackierergebnis

Keinen halben Millimeter dick und trotzdem entscheidend: Eine gleichmäßige Lackschicht gilt bei Autos als wichtiges Qualitätsmerkmal.

Ein Wörterbuch aus dem Labor

In dem Programm lassen sich nun verschiedene Szenarien durchspielen, um die Qualität des Farbauftrags zu verbessern. Das funktioniert unter anderem über die Einstellung von zwei Variablen. Eine davon ist die sogenannte Spritzbildbreite. Sie zeigt, welche Fläche die aus dem Zerstäuber fliegenden Lackpartikel bedecken und ist im übertragenen Sinne mit der Breite eines Pinsels vergleichbar. Bei der anderen Größe handelt es sich um die prozentuale Farbmenge, die aus dem Sprühkopf herauskommt.

„Hier haben wir den tatsächlichen Lackiervorgang stark vereinfacht“, erklärt Dr. Christoph Heckeler, Entwickler für Applikationsprozesse bei Dürr. Spritzbildbreite und prozentuale Lackausflussrate können eigentlich nicht ohne Weiteres eingestellt werden. Sie ergeben sich vielmehr aus den Eigenschaften des eingesetzten Lacks und konkreten Betriebsparametern wie zum Beispiel dem Lackierabstand und der Drehzahl des Zerstäubers.

Doch statt diese Einflussgrößen bereits in der Simulation zu berücksichtigen, brachte das Entwicklerteam sie erst in einem zweiten Schritt ins Spiel. Und zwar bei realen Tests im Dürr-Labor – nicht an Karosserien, sondern auf kleinen Spritzblechen. Das ist einfacher, billiger und genauso gut. Die Werte dieser Labortests finden sich in digitalen Merkmalskarten wieder und setzen das Verhalten von Zerstäuber und Lack in Bezug zu den optimierten Parametern aus dem Simulationstool. „Das Ergebnis kann man sich vorstellen wie ein Wörterbuch“, so Heckeler.

Im Simulationsprogramm haben wir den tatsächlichen Lackiervorgang stark vereinfacht.

Christoph Heckeler , Entwickler für Applikationsprozesse

Dieses wird in das Simulationsprogramm eingespeist und die Software übersetzt die zuvor ermittelte virtuelle Parametrierung automatisch in Einstellungen für den realen Lackauftrag. „Die erste Testlackierung einer Karosserie erfolgt dann mit diesem voroptimierten Parametersatz“, erklärt Heckeler. Das macht Inbetriebnahmen effizienter und ermöglicht es den Automobilherstellern, schneller eine verkaufbare Lackierqualität zu erreichen. Außerdem senkt das neue digitale Werkzeug die Materialkosten und führt zu weniger fehlbeschichteten Karosserien. Je nach Ausgangssituation verringert sich die Anzahl der in den Testläufen verbrauchten Karosserien schätzungsweise um bis zu 50 Prozent. Eine Beta-Version des Simulationstools, die bei einigen Automobilherstellern im Einsatz war, hat sich bereits bewährt. Jetzt ist das Produkt reif für den Markt.

Dass eines Tages gar keine Testläufe mehr mit echten Karosserien nötig sein werden, bezweifelt Heckeler. „Dafür ist der Lackiervorgang zu komplex.“ Aber natürlich wird Dürr weitere Ideen entwickeln, um das Lackieren wirtschaftlicher und nachhaltiger zu machen. Die Simulation des Lackierprozesses ist nur einer von vielen wichtigen Bausteinen auf dem Weg zur vollständig digitalisierten Lackiererei.

Alles im grünen Bereich?

Das zur Software DXQ3D.onsite gehörende Simulationstool ist kinderleicht zu bedienen. Ein einziger Mausklick bringt Leben in die digitale Roboterstation, wo die Karosserie innerhalb kürzester Zeit ihren Anstrich erhält. Unterschiedliche Einfärbungen veranschaulichen nach getaner Arbeit der Roboter das Lackierergebnis. Problemzonen sind auf den ersten Blick erkennbar. Für eine gleichmäßigere Lackschicht lassen sich nun die Einstellungen variieren. Erst wenn virtuell die richtigen Parameter für eine optimales Beschichtungsergebnis gefunden sind, beginnen die realen Testläufe.

Losch, Felix Senior Sales Manager MES & Controls
Felix Losch
Senior Manager
Sales Digital Products
Dürr Systems AG
Carl-Benz-Str. 34
74321 Bietigheim-Bissingen
Deutschland