Helfende Hände
17.03.2022
In der Nacht zum 15. Juli 2021 vernichtet die Flut im Ahrtal den Betrieb von Maik Rönnefarth. Wie viele andere Betriebe in der Region stehen auch der Schreinermeister und seine Angestellten vor dem Nichts. Doch schon kurz darauf ist die Hilfsbereitschaft von Freunden und Fremden so groß, dass ein schneller Wiederaufbau möglich wird. Eine Geschichte über Zusammenhalt und Zuversicht.
Einen Tag vor der Katastrophe lässt Maik Rönnefarth seinen Betrieb in Dernau auf Hochglanz bringen. Ein Kamerateam ist bestellt, um einen Werbefilm zu drehen. Noch ahnt der Schreinermeister nicht, dass es die letzten Aufnahmen dieser Werkstatt mit ihrem hochmodernen Maschinenpark sein werden. Dann beginnt es zu regnen – und wird lange nicht aufhören.
Als das beschauliche Flüsschen Ahr zu einem reißenden Strom anschwillt, versuchen der Schreiner und seine Leute zunächst, das Wasser abzuhalten. „Mit Sandsäcken und Spanplatten haben wir das Gebäude abgedichtet“, erzählt Rönnefarth. Heute muss der 45-Jährige darüber lachen. „Wir haben tatsächlich geglaubt, das könnte reichen.“
Kurz darauf drückt eine 1,40 Meter hohe Wassersäule gegen die Außenwände des Betriebs. Gegen 21 Uhr mehrere Donnerschläge. Die Tore halten dem Druck nicht mehr stand und bersten. Wasser schießt ins Gebäude, überschwemmt Werkstatt und Büros.
Die schmutzige Brühe frisst sich auch in die Maschinen. Sie sind der Stolz der Werkstatt – regelmäßig hat die Schreinerei in neue Modelle investiert. Bevorzugter Lieferant ist die Dürr-Tochter HOMAG. Erst vor Kurzem ist ein digital gesteuertes Bearbeitungszentrum hinzugekommen, das vollautomatisch sägt, bohrt und fräst. Das Glanzstück der 2003 in einer Garage gegründeten Firma, die heute 30 Angestellte hat. Kosten: 270.000 Euro. Jetzt hat die Maschine Schrottwert.
Offensichtlich haben wir in den vergangenen Jahren den richtigen Leuten die Treue gehalten.
Maik Rönnefarth , Schreinermeister
Wächter der Werkstatt: Maik Rönnefarth mit Hund Thaya vor einem neuen Bearbeitungszentrum.
Flutnacht in Bildern
Wo im Juli 2021 ein Trümmerfeld war, riecht es ein halbes Jahr später nach frischer Farbe. Die ersten neuen Maschinen schnurren in den insgesamt 2.200 Quadratmeter großen, sauberen Hallen, Angestellte beugen sich über ihre Werkbänke. Rönnefarth sitzt im Kapuzenpulli mit Firmenlogo in einem Besprechungsraum und zeigt bei Kaffee und Plätzchen die Fotos der Flutnacht. Der Gesamtschaden betrug mehr als 4 Millionen Euro. Allein die 18 zerstörten Maschinen schlugen mit 1,5 Millionen Euro zu Buche.
Ein Schaden in dieser Höhe bedroht die Existenz eines Handwerksbetriebs. Bis die Versicherung zahlt, können Monate vergehen, aber viele Kosten laufen weiter. Doch Aufhören war für den Schreinermeister, der wichtige Entscheidungen nur gemeinsam mit seiner Belegschaft trifft, keine Option. „Wir haben nie das Vertrauen in uns verloren“, beschreibt er die Stimmung. Und so merkwürdig das klinge, sagt er, die positiven Erfahrungen aus dieser Zeit seien für ihn wichtiger als die Bilder der Katastrophe. Beim Wiederaufbau haben sie ihm sehr geholfen.
Erinnerung an eine dramatische Nacht: Maik Rönnefarth zeigt die Bilder der überfluteten Werkstatt.
Einsatz zur Datenrettung
Ein Grund ist die enorme Hilfsbereitschaft, die sich in den Wochen nach der Flut gezeigt hat, aber auch der Einsatz seiner eigenen Leute. Er erzählt von seinem Werkstattleiter, der geistesgegenwärtig in den IT-Raum rennt, als das Wasser eindringt, den Server ins Trockene bringt und die wertvollen Daten damit rettet. Andere sichern die in einigen Maschinen verbauten Computer.
Gemeinsam mit 13 seiner Angestellten, die am Abend der Flut zurück in den Betrieb geeilt sind, verbringt er die Nacht im Obergeschoss des Gebäudes. Dort warten sie ohne Strom und Trinkwasser, bis der Pegel nach Stunden wieder sinkt, und machen sich gegenseitig Mut.
Am nächsten Tag zeigt sich das Ausmaß der Verwüstung. Die Werkstatt ist weg, zahlreiche fertige Aufträge, darunter ganze Küchen und Ankleidezimmer, hat das Wasser davongetragen. Holzplatten, Werkzeuge, Kleingeräte – alles futsch. „Wir hatten nicht mal mehr Besen oder Schaufel, um Schlamm und Schutt zu beseitigen“, sagt Rönnefarth.
Doch bald darauf erscheint ein Landwirt mit seinem Trecker bei der Schreinerei. Ein Nachbar hat sich einen Bagger besorgt und bietet seine Hilfe an. Gemeinsam räumen sie die gröbsten Trümmer beiseite. Sie entfernen die aufgequollenen Spanplatten aus dem Regallager, bergen Maschinenteile und entfernen die Reste von zerstörten Möbeln, die vor der Sommerpause ausgeliefert werden sollten.
Nachdem die Folgen der Flut beseitigt wurden, gibt es wieder viel zu tun in der Schreinerei. Die Kunden haben geduldig gewartet – jetzt werden alle Aufträge abgearbeitet.
Filialleiter spendet Lebensmittel
Später meldet sich ein Kunde, der eine Schwimmschule betreibt. Er mobilisiert 35 Sportlerinnen und Sportler zum Fegen, Putzen und Schaufeln. Auf dem Weg zur Schreinerei kauft er Mineralwasser, Lebensmittel und Reinigungsgeräte ein. Als der Filialleiter erfährt, dass die Sachen fürs Flutgebiet sind, verzichtet er auf eine Bezahlung. „Das war wirklich unglaublich“, sagt Rönnefarth.
Es sind Geschichten wie diese, auf die der Schreinermeister immer wieder zurückkommt. Auf den Fotos, die er zeigt, sind nachdenkliche Gesichter zu sehen, aber auch Helfende, die lachen, abklatschen und mit Freude bei der Arbeit sind.
In den nächsten Tagen strömen immer mehr Menschen ins Ahrtal, um zu helfen. Rund 200.000 sollen es in den Monaten danach noch werden. Auch in der Schreinerei melden sich weitere Freiwillige. Wie verpflegt man so viele Leute? „Da gab es ebenfalls unverhoffte Hilfe“, sagt Rönnefarth. Ein befreundeter Gastronom bringt ihm eine Imbissbude auf den Hof und stellt für mehrere Wochen einen Koch ab. Drei Mal am Tag bereitet der für alle Anwesenden kostenlos komplette Mahlzeiten zu.
Zehn Tage später gibt es sogar wieder Elektrizität in der Firma. Und das kam so: Ein Mann erfährt auf Facebook von der prekären Lage des Schreinerbetriebs. Daraufhin treibt er in Nordhessen einen riesigen Stromgenerator auf, den ein Lastwagen 300 Kilometer weit nach Dernau bringt. Ein Helferteam schließt das Aggregat an. Wer die Männer sind und woher sie kommen, kann Rönnefarth nicht mehr genau sagen. „Die haben gemacht und wir haben ihnen vertraut.“
200.000 €
Neben Leihmaschinen und Preisnachlässen für betroffene HOMAG-Kunden umfasste das Hilfspaket des Dürr-Konzerns nach der Flutkatastrophe auch eine Geldspende.
Große Maschinen auf kleinem Dienstweg
Zwei Wochen nach der Flut ist die Schreinerei in weiten Teilen betriebsbereit – nur die Maschinen fehlen noch. Doch auch für dieses Problem gibt es bereits eine Lösung: Ein HOMAG-Team aus Service und Vertrieb hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um seinem Kunden schnellstmöglich wieder auf die Beine zu helfen. Während die einen vor Ort bei der Erstellung von Versicherungsgutachten unterstützen, organisieren die anderen neue Maschinen für den Betrieb. Weil HOMAG in der Regel individuell konfigurierte Modelle verkauft, ist das gar nicht so einfach.
Trotzdem wird man fündig. Eine Plattenaufteilsäge, die ein Vertriebspartner aus Düsseldorf zur Verfügung stellt, sowie eine Schleifmaschine aus dem HOMAG-Lager treffen als erstes ein. Ein Bearbeitungszentrum, das normalerweise in einem HOMAG-Verkaufsraum steht, wandert übergangsweise ebenfalls in die Schreinerei. Schrittweise nimmt der Betrieb seine Arbeit wieder auf, während das Aufräumen weitergeht. Nach wenigen Monaten kann HOMAG dann auch die ersten Neumaschinen liefern – selbstverständlich mit Preisnachlässen und langen Zahlungszielen. Der kleine Dienstweg hat funktioniert. Für Maik Rönnefarth eine Bestätigung. „Offensichtlich haben wir in den vergangenen Jahren den richtigen Leuten die Treue gehalten.“
Das gilt auch für die Finanzen. Die Hausbanken gewähren ihm Zwischenkredite, die das Unternehmen braucht, bis die Versicherungen zahlen. Der Geschäftsführer der Kreissparkasse kommt sogar persönlich vorbei und spendet der Firma drei Laptops.
Hilfsbereitschaft und Versicherungen können natürlich nie alle Schäden ersetzen, die bei einem derartigen Ereignis entstehen. „Jetzt müssen wir das Beste aus der Situation machen“, sagt Rönnefarth. Die Dynamik der Sanierung hat er genutzt, um einen seit Langem geplanten Anbau hochzuziehen. Die Firma wächst und braucht Platz. Die Arbeit wird auch nach der Flut nicht weniger. Kein einziger Auftrag wurde storniert. Die nächsten Maschinen stehen kurz vor der Lieferung – und nur sechs Monate nach der Katastrophe arbeitet der Betrieb wieder wie zuvor.