Tempomacher
17.03.2022
Seit Februar 2021 gehört Teamtechnik zum Dürr-Konzern. Das Unternehmen baut unter anderem hochautomatisierte Maschinen und Anlagen, mit denen sich medizinische Artikel in großen Mengen sicher und schnell fertigen lassen. Damit profitiert Teamtechnik vom weltweiten Wachstum der Branche für Medizinprodukte. Besuch bei einer aufstrebenden Konzerntochter.
In der Werkshalle brummt es leise. An den halbfertigen Maschinen aus funkelndem Edelstahl knien Techniker. Konzentriert prüfen sie Kabel, montieren Baugruppen oder tippen in ihre Notebooks. An einer kreisförmigen Anlage bleibt Carsten Köhler stehen. „Dies ist ein Ringtransfersystem. Es gehört zu unseren meistverkauften Anlagen“, erklärt der Vertriebschef der Medtech-Sparte von Teamtechnik in Freiberg am Neckar. Typisch für diese Anlagen ist ein Transportsystem, das jedes Werkstück im Kreis von einer Arbeitsstation zur nächsten befördert. Eine bewährte Methode, die hochwertige Massenproduktion in kurzer Zeit ermöglicht.
Schnell und sicher fertigen – für die Kunden von Teamtechnik ist das entscheidend. Denn sie stellen medizinische Produkte her. Zum Beispiel Spritzen, Injektoren, Test-Kits oder Einwegkontaktlinsen. „Obwohl Sicherheit immer an erster Stelle steht, müssen unsere Kunden hohe Stückzahlen sehr schnell und in höchster Qualität produzieren können“, sagt Köhler.
Carsten Köhler erklärt, worauf es bei der Fertigung lebensrettender Medizinprodukte ankommt.
Maschinen für lebensrettende Produkte
Die halbfertige Ringtransferanlage soll schon in wenigen Monaten bei einem Kunden von Teamtechnik stehen und Auslöser für Autoinjektoren produzieren. Autoinjektoren sind Instrumente, die aussehen wie dicke Kugelschreiber. In ihrem Innern befinden sich ein Injektionssystem mit Nadel sowie ein genau dosiertes Medikament. Im Notfall, zum Beispiel bei einem anaphylaktischen Schock, drückt man sich den Autoinjektor auf den Körper, die Nadel schießt heraus und injiziert den Wirkstoff.
Die Maschine wird pro Minute 80 der aus vielen kleinen Teilen zusammengesetzten Auslöser fertigen. Ziemlich viel, wenn man bedenkt, wie akkurat die Herstellung der Autoinjektoren ablaufen muss. Denn nach jedem Arbeitsschritt folgt ein Prüfschritt, der das Ergebnis der vorangegangenen Station mit Sensoren oder kleinen Kameras kontrolliert und fehlerhafte Teile automatisch aus dem Produktionsprozess entfernt.
Die meisten vollautomatischen Maschinen, die Teamtechnik herstellt, sind für Reinräume vorgesehen. Sie arbeiten selbstständig und so präzise, wie es Menschenhände niemals können. Winzige Edelstahlgreifer fassen wenige Millimeter kleine Teile und bestücken die Arbeitsstationen so schnell, dass das Auge nicht mehr folgen kann. Hunderte feingliedrige Kunststoffteile lassen sich so in kurzer Zeit fertigen.
Köhler führt zu einer weiteren im Bau befindlichen Maschine, die wenige Meter entfernt steht. Mit ihr lassen sich Flügelkanülen samt Schlauch herstellen. Patientinnen und Patienten bekommen sie zum Beispiel vor einer Vollnarkose in den Arm gelegt. Die Fertigung hat ihre Tücken. Da die Kunststoffteile weich und glatt sind, rutschen sie schnell weg. Nur speziell konstruierte Greifer können sie fassen. „Viele dieser Maschinen sind Unikate“, fasst Köhler zusammen. Sie werden auf standardisierten Plattformen den Wünschen einzelner Kunden entsprechend konstruiert.
Obwohl Sicherheit immer an erster Stelle steht, müssen unsere Kunden hohe Stückzahlen sehr schnell und in höchster Qualität produzieren können.
Carsten Köhler , Vertriebschef für Automatisierungsanlagen für medizinische Produkte bei Teamtechnik
Wohlstand ist Wachstumstreiber
Teamtechnik ist mit Maschinen und Prüfständen für die Automobilindustrie groß geworden – nach wie vor ein wichtiges Standbein des Unternehmens. Vor rund 15 Jahren kam die Medtech-Sparte hinzu. Knapp 50 Kunden hat Teamtechnik heute in dem Bereich. Ein Markt mit Potenzial. „Wir rechnen in diesem Geschäftszweig mit Wachstumsraten zwischen sechs und zwölf Prozent pro Jahr und das ist zurückhaltend geschätzt“, sagt Unternehmenschef Stefan Roßkopf, dessen Vater Teamtechnik vor 46 Jahren mitgegründet hat.
Treiber der Entwicklung ist das Bevölkerungswachstum, aber auch der zunehmende Wohlstand in Weltregionen wie Asien. Die Menschen wollen sich dort nach modernen medizinischen Standards behandeln lassen. Aus hygienischen Gründen sind vor allem Einwegprodukte aus Kunststoff gefragt. Die Mengen sind erheblich. Immerhin haben Länder wie China oder Indien jeweils rund 1,4 Milliarden Einwohner. Ein gewaltiges Potenzial – für Spritzen und Kanülen genauso wie für Einwegkontaktlinsen.
Das Wachstum mit Automatisierungsanlagen für medizinische Produkte wird auch durch die steigende Zahl chronisch kranker Menschen getrieben. Beispiel Diabetes: Weltweit sind rund 425 Millionen Menschen von diesem Leiden betroffen. Tendenz steigend. Viele von ihnen spritzen sich regelmäßig Insulin – das erhöht den Bedarf an manuell einstellbaren Injektionspens oder automatischen Pumpen, die am Körper getragen werden. Auch für diese Geräte bietet Teamtechnik vollautomatisierte Fertigungssysteme an.
6-12 %
jährliches Wachstum
erwartet Teamtechnik in der
Medtech-Sparte
120
Arbeitsschritte führen die schnellsten Teamtechnik-Anlagen pro Minute aus
Teamtechnik-Anlagen arbeiten schneller und präziser als Menschenhände es jemals könnten.
Expansion unter dem Dach von Dürr
Durch die Mehrheitsbeteiligung steigt der Dürr-Konzern in das wachsende Geschäft mit automatischen Produktionsanlagen für medizinische Kunststoffprodukte ein. Die neue Tochter wiederum erhält die Möglichkeit, mit einem globalen Partner zu expandieren. „Auf uns allein gestellt hätten uns die finanziellen Mittel dafür gefehlt“, sagt Roßkopf.
Die kurzen Wege zwischen beiden Unternehmen erleichtern die Zusammenarbeit. Denn Freiberg am Neckar liegt keine zehn Kilometer vom Dürr-Konzernsitz entfernt. Weitere Standorte hat die neue Tochter außer in Deutschland auch in China und den USA.
Unter dem Dach von Dürr soll nun ein Kompetenzzentrum für Medtech-Produktionsanlagen entstehen. Dafür rangieren weitere Übernahmen ganz oben auf der To-do-Liste. „Ein erstes gemeinsames Projekt ist uns bereits gelungen“, sagt Roßkopf. Im Sommer 2021 kaufte Teamtechnik den Automatisierungsexperten Hekuma.
Das Münchner Unternehmen ist auf ein außergewöhnliches Gebiet spezialisiert. Es stellt Systeme zur Entnahme von Kunststoffteilen aus Spritzgussanlagen her. Blitzschnelle Greifer nehmen die frisch gespritzten Teile aus ihrer Form, was weniger Zeit benötigt, als wenn sie einfach auf ein Band fallen würden. Dank dieser Vorgehensweise lässt sich die tägliche Produktionsmenge in vielen Fällen verdoppeln.
Vom Insulinpen über Kontaktlinsen bis hin zu Inhalatoren: Die Anlagen von Teamtechnik montieren und prüfen medizintechnische Produkte schnell, zuverlässig und vollautomatisch.
TEAMTECHNIK: GESCHÄFTSFELDER UND ZAHLEN
E-Mobility
Ob Antriebe für Elektrofahrzeuge oder Sensoren und Steuergeräte fürs autonome und vernetzte Fahren: Montage- und Prüftechnik für diese neuen Technologien kommen von Teamtechnik.
Medtech
Produkte für die medizinische Versorgung, wie zum Beispiel Insulinpens, Spritzen und Kontaktlinsen werden auf Anlagen von Teamtechnik vollautomatisiert und in höchster Qualität montiert und geprüft.
New Energy
Energiegewinnung, -übertragung, -speicherung und -nutzung: Teamtechnik liefert die Produktionstechnik für benötigte Komponenten wie Solarmodule, Steckverbinder und Batteriesysteme.
840
Beschäftigte weltweit
5
Produktionsstandorte
13
Service-Standorte
Automatisierung aus Leidenschaft
Teamtechnik und Dürr bauen auch ihre Zusammenarbeit im Projektmanagement und der Entwicklung von Software aus. Für den Vertrieb sind wiederum die Kontakte von Dürr in die Autoindustrie interessant. Denn Teamtechnik macht bislang den größten Teil des Umsatzes mit Prüfständen für Getriebe und für Antriebe in E-Autos. „Ein Bereich, der ebenfalls hohes Wachstum verspricht“, so Roßkopf.
Dass zukunftsweisende Themen bei Teamtechnik im Fokus stehen, beweist der Ausbau der Medtech-Sparte. „Unsere Leidenschaft für Automatisierung wird weiterhin die zentrale Rolle spielen“, sagt Roßkopf. Technologisch soll das Unternehmen seinen Kunden künftig die gesamte Bandbreite des Fertigungsprozesses anbieten: von der Entnahme der im Spritzguss hergestellten Kunststoffteile über die Montage und Prüfung bis zur Verpackung. Das alles sauber, sicher – und eben vollautomatisiert.
MEGATREND GESUNDHEIT
Drei Fragen an Trend- und Zukunftsforscherin Corinna Mühlhausen. Seit über 20 Jahren beschäftigt sie sich mit den Themen Gesundheit, Pharma und Medizin der Zukunft.
Wie hat sich das Verständnis von Gesundheit in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
CM: Der Megatrend Gesundheit hat alle Bereiche unseres Alltags erfasst und prägt unseren Lebensstil. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass sich Menschen mehr als zuvor selbst für ihre Gesundheit verantwortlich fühlen. Sie haben gemerkt, dass ein gesundheitsbewusstes Leben auch Spaß machen kann. Das hat vielschichtige Auswirkungen. Vorlieben bei der Ernährung sind heute zum Beispiel verknüpft mit Lebensstil, moralischen Werten oder dem Verhalten von Bezugspersonen. Auch das Thema Gesundheitsvorsorge rückt mehr in den Fokus.
Inwiefern hat die Pandemie das Gesundheitsbewusstsein beeinflusst?
CM: Gesundheit war bereits vor der Corona-Krise der wichtigste Wert der Menschen. Doch die Pandemie gab der Gesundheit einen Teilaspekt zurück, der in den vergangenen Jahren zunehmend in den Hintergrund getreten war: das Bewusstsein, dass Gesundheit zuallererst bedeutet, nicht krank zu sein. Seit der kollektiven Krisenerfahrung nehmen die Menschen wesentlich stärker wahr, wie wichtig die körperliche Unversehrtheit ist. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfahren außerdem eine größere Wertschätzung, denn das Interesse an sachlichen Informationen zum Thema Gesundheit wächst. Gleichzeitig macht uns die Pandemie bewusst, dass Gesundheit in einer globalisierten Welt nicht nur in der Verantwortung der oder des Einzelnen liegt, sondern ein komplexes Wirkungsgefüge darstellt. Die Folge ist, dass sich Gesundheitsfragen vom Individuum auch auf die gesellschaftliche Ebene verlagern, teilweise sogar nur global lösbar sind.
Wie wird sich das Thema Gesundheit in Zukunft entwickeln?
CM: Die Erfahrung der vergangenen zwei Jahre hat gezeigt, dass Patientinnen und Patienten mit typischen Wohlstandskrankheiten ein höheres Risiko haben, schwer zu erkranken. Diese Entwicklung kann dazu führen, dass die Menschen jenseits von Wellness und Selbstoptimierung mehr stichhaltige Argumente bekommen, warum sie gesünder leben sollten. Gleichzeitig steigt auch der medizinische Standard weiter. Immer mehr Menschen werden bei Krankheit und insbesondere im Alter die Versorgung mit qualitativ hochwertigen Medizinprodukten erwarten. Das treibt die Automatisierung in deren Produktion voran.
Corinna Mühlhausen