Rund 3.500 digitale Datenpunkte zeichnet eine smarte Lackierlinie allein für jede einzelne Karosserie auf. Daneben liefern Sensoren viele Gigabyte, etwa mit Prozesswerten zu Temperatur, Druck und Feuchtigkeit. Diese Informationen sind das Rohmaterial, um die Overall Equipment Effectiveness (OEE) einer Lackiererei zu steigern. Ein Paradebeispiel aus der Praxis ist das neue Werk von SAIC Volkswagen Joint Ventures (SVW) in der Nähe von Shanghai, in dem diverse Elektro-Modelle und konventionell angetriebene Fahrzeuge gefertigt werden. Für die hochdigitalisierte Fabrik lieferte Dürr sowohl den kompletten Anlagenbau als auch das bislang umfangreichste Portfolio seiner eigenentwickelten Softwareprodukte aus der DXQ-Linie.
Parallele Entwicklung von Digitallösungen und Anlagenbau
Maschinenbau- und IT-Kompetenz liefen im SVW-Projekt von Anfang an Hand in Hand. Die Digitallösungen wurden parallel zu Planung und Engineering des umfangreichen Anlagenbaus – von der Tauchlackierung RoDip®, über Lackierkabinen mit Trockenabscheidung EcoDryScrubber, bis zum Trockner und der Abluftreinigung – entwickelt. Der digitale Anforderungskatalog von SVW deckte sich größtenteils mit der Entwicklungsagenda der Digital Factory von Dürr, sodass viele neue DXQ-Produkte Einzug in das Werk fanden. Während der 1,5-jährigen Projektdauer arbeiteten sechs internationale Produktentwicklungsteams von Dürr mit jeweils bis zu zehn Entwicklern an den neuen Technologien. In kurzen Sprints, wie sie in der agilen Entwicklung üblich sind, stimmten sie sich eng mit SVW ab. Um eine maximal reibungslose IT-Installation in China zu gewährleisten, wurden alle Funktionalitäten der Software zuerst im Dürr-Headquarter in Bietigheim-Bissingen in einer Testumgebung geprüft, die 1:1 den Bedingungen in Anting entsprach.
DXQcontrol zur Steuerung der Mega-Lackiererei
Für die übergeordnete Steuerung des Werkes setzt SVW nahezu alle Bausteine der funktionsreichen Softwarelösung DXQcontrol ein. Mit dieser lässt sich der Lebenszyklus jeder Karosserie nahtlos verfolgen. Das beginnt beim Eintreffen eines Fertigungsauftrags, wobei die Bestellinformation in konkrete Produktionsschritte übersetzt wird. Neben dem Auftragsdatenmanagement kommt auch das Modul DXQbusiness.intelligence der Produktfamilie DXQcontrol in einer neuen Ausprägung zum Einsatz. Erstmalig können Verbrauchsdaten, z. B. Energie-, Wasser- oder Luftmengen, über lange Zeiträume historisch ausgewertet werden. So wird die Basis für nachhaltigen Anlagenbetrieb geschaffen. Ein weiteres Novum ist der Einsatz mobiler Apps diverser DXQ-Produkte. Beispielsweise können Mitarbeiter Alarmfunktionen direkt am Entstehungsort in der Anlage mit Tablets verwalten und filtern, etwa wenn eine Linie stillsteht.
Eine Wartungssoftware für alle Komponenten einer Lackiererei
Mobile Versionen haben für SVW auch den Vorteil, dass die Mitarbeiter über Tablets auf Wartungsdaten zugreifen können, indem sie QR-Codes an Komponenten der Anlage scannen. Informationen können so direkt am Entstehungsort abgerufen werden. So können die Mitarbeiter flexibler arbeiten, als dies mit stationären PCs möglich ist. Bei SVW in Anting wird zum ersten Mal die Wartungssoftware DXQequipment.maintenance für eine komplette Lackiererei eingesetzt und zwar ebenfalls als mobile Version. Die Software besitzt Schnittstellen zu den knapp 130 Steuerungen des Anlagenequipments und ermittelt darüber den jeweiligen Wartungsbedarf anhand aktueller Informationen wie Betriebsstunden oder Zählerwerten. Auch Anlagenteile anderer Lieferanten kann SVW dabei einbinden.
Mit Big Data den Lackierprozess optimieren
Mehrere Terabyte an digitalen Daten werden in der neuen Lackiererei pro Jahr gesammelt, gespeichert und von den intelligenten Algorithmen der Applikation DXQplant.analytics ausgewertet. Erkennt beispielsweise ein Mitarbeiter bei der Qualitätskontrolle eine Unregelmäßigkeit auf der Lackoberfläche, gibt er diese ins Tablet ein. DXQplant.analytics korreliert erfasste Qualitätsergebnisse mit Auftragsdaten (Produktionsnummer, Derivat, Farbe etc.) und Prozessdaten auf Basis künstlicher Intelligenz, um Muster zu erkennen. Auf einer breiten Datenbasis lassen sich die Fehlerursachen zielgerichtet nachverfolgen und Maßnahmen ableiten. So lässt sich das System permanent optimieren. Erstmalig werden bei SVW in Anting auch Prozessdaten von Gewerken anderer Lieferanten in DXQplant.analytics ausgewertet, beispielsweise in der Applikationstechnik.
Digital just in time
Die Corona-Pandemie brachte den Termin zum Produktionsstart trotz des mehrwöchigen Shutdowns in China und den anhaltenden Reisebeschränkungen nicht ins Wanken. Die interne Zusammenarbeit der Anlagen- und Softwareexperten von Dürr in Deutschland und China funktionierte reibungslos – und auch in dieser Hinsicht so digital, wie zuvor bei keinem anderen Projekt.