1933 in Stuttgart geboren, absolvierte Heinz Dürr nach dem Abitur eine Schlosserlehre in Uerdingen und studierte danach in seiner Heimatstadt Maschinenbau. Seine erste Station im Familienunternehmen war die Konstruktionsabteilung. Geschäftsführer war damals sein Vater Otto Dürr, die Mutter Betty führte die Buchhaltung und genoss großen Respekt als „kaufmännisches Gewissen“. In der Nachkriegszeit veränderte sich die Firma mit Sitz in Stuttgart-Zuffenhausen stark: Aus dem Blechbearbeitungsspezialisten wurde ein Industrieunternehmen mit den Schwerpunkten Apparatebau und Oberflächenbehandlung. Der Grundstein für die heutige Weltmarktführerschaft in der Lackiertechnik wurde gelegt.
Schon mit 27 Jahren trat Heinz Dürr in die Geschäftsführung ein. Das Geschäft mit der Autoindustrie wurde ausgebaut. Mit einer Portion Wagemut trieb der Juniorchef die Internationalisierung voran. 1964 wurde in Brasilien die erste Auslandstochter gegründet. Unter der Regie von „HD“ baute Dürr in São Paulo erstmals eine komplette Autolackiererei für Volkswagen. Weitere Firmengründungen folgten zum Beispiel in Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Österreich, Mexiko, den USA, Südafrika, Indien und China. Der Unternehmenskultur drückte Heinz Dürr mit seiner Frau Heide einen modernen Stempel auf. Dürr war einer der ersten Industriebetriebe mit Mitarbeiterzeitung, Bibliothek, Kunst an den Wänden sowie Theater- und Konzertaufführungen in der Fabrik.
In den frühen 1970er-Jahren machte sich der Familienunternehmer in Wirtschaftskreisen einen Namen. Auf Vorschlag Hanns Martin Schleyers wurde Heinz Dürr 1975 Vorsitzender des Arbeitgeberverbands der Metallindustrie Nordbaden/Nordwürttemberg. Mit dem baden-württembergischen IG-Metallchef Franz Steinkühler handelte er innovative Tarifergebnisse aus. 1978 war Heinz Dürr während eines mehrwöchigen Streiks das Gesicht der Arbeitgeberseite in den bundesdeutschen Medien.
Wechsel zur AEG
1980 gab Heinz Dürr die Führung seines Unternehmens ab und wurde Chef beim angeschlagenen Elektrokonzern AEG. Neben der unternehmerischen Herausforderung reizte ihn das technologische Potenzial der AEG. Den überraschenden Wechsel hatte der damalige Bosch-Chef Hans Lutz Merkle eingefädelt. Heinz Dürr führte die AEG durch einen Vergleich und 1985 unter das Dach der Daimler-Benz AG, in deren Vorstand er 1986 eintrat.
1990 brachte Heinz Dürr die Dürr AG an die Börse, für ein mittelständisches Familienunternehmen damals ein ungewöhnlicher Schritt. Mit dem Erlös wurde der Applikationstechnikspezialist Behr erworben, aus dem die erfolgreiche Lackierrobotersparte von Dürr hervorging. Eine spätere richtungsweisende Akquisition, die Heinz Dürr mit vorantrieb, war die Übernahme der auf Holzbearbeitungstechnik spezialisierten HOMAG Group im Jahr 2014. Durch sie verbreiterte Dürr sein Portfolio im Maschinenbau erheblich.
An der Spitze der Deutschen Bahn
1991 übernahm Heinz Dürr auf Bitte von Bundeskanzler Helmut Kohl den Vorstandsvorsitz der Deutschen Bundesbahn und damit eine weitere Aufgabe im Licht der Öffentlichkeit. Mit der Bahnreform trieb er die Zusammenlegung von Bundesbahn und Reichsbahn und den Wandel vom Staatskonzern zum Dienstleistungsunternehmen Deutsche Bahn AG voran. 1997 wechselte er 64-jährig in den Aufsichtsrat der Bahn, den er bis 1999 leitete. Von 1999 bis 2003 war Heinz Dürr Stiftungskommissar der Carl Zeiss Stiftung. Dort trug er maßgeblich zur Reform des Stiftungsstatus aus dem Jahr 1896 bei.
Das Unternehmen als gesellschaftliche Veranstaltung
Als Unternehmer sieht sich Heinz Dürr in hohem Maße dem Gemeinwohl verpflichtet. Dieses Selbstverständnis führt zurück zu Ernst Abbe und Walter Rathenau, den historischen Unternehmerpersönlichkeiten bei Zeiss und der AEG. Auch auf den früheren Chef der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs, und den Philosophen Odo Marquard bezieht sich Heinz Dürr. Sein wirtschaftliches Denken kreist um den Begriff des „Unternehmens als gesellschaftliche Veranstaltung“. Ein Unternehmen sei der Gesellschaft und seinen Beschäftigten verpflichtet. „Es muss ordentliche Produkte und Dienstleistungen liefern, die von der Gesellschaft gebraucht werden. Es soll sich um die Menschen im Unternehmen kümmern und dafür sorgen, dass diejenigen, die dem Unternehmen Geld geben, eine ordentliche Rendite erhalten.“ Gewinn sei kein Selbstzweck, „aber er muss sein, sonst fällt das Unternehmen jemandem, meist dem Steuerzahler, zur Last.“
Heinz Dürr versteht sich als überzeugter Mittelständler. Für ihn bedeutet Mittelstand „personale Führung statt technokratische Führung. Der Chef kennt seine Leute und redet mit ihnen.“ Den Beschäftigten rät der Schwabe Dürr stets zur Bescheidenheit: „Wer glaubt etwas zu sein, hört auf, etwas zu werden.“
Von 1990 bis 2013 war Heinz Dürr Aufsichtsratsvorsitzender der Dürr AG. Seit 2006 vertritt Prof. Dr. Dr. Alexandra Dürr, eine der drei Töchter von Heinz und Heide Dürr, die Familie mit deren Aktienanteil von 29 % im Aufsichtsrat. Heinz Dürr ist dem Unternehmen als Ehrenvorsitzender des Aufsichtsrats eng verbunden. Er besucht regelmäßig den Firmensitz in Bietigheim-Bissingen und sucht das Gespräch mit Vorstand und Beschäftigten.
Eigentum verpflichtet: gesellschaftliches Engagement
Mit seiner Frau gründete der Unternehmer 1998 die Heinz und Heide Dürr Stiftung, die sich auf Artikel 14 des Grundgesetzes beruft: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Förderschwerpunkte der Stiftung sind Wissenschaft und Forschung, frühkindliche Bildung und deutschsprachiges Theater.
Heinz Dürr erhielt zahlreiche Ehrungen und Auszeichnungen. Dazu zählen die Ehrendoktorwürde als Dr.- Ing. E.h. der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (1996) und das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (2003). Er ist Ehrenvorsitzender mehrerer Institute und Gesellschaften, darunter das Institut für Energieeffizienz in der Produktion (Universität Stuttgart) und die Walther Rathenau Gesellschaft (Berlin).
Der Vielleser Heinz Dürr schätzt den österreichischen Schriftsteller Thomas Bernhard und hat selbst drei Bücher geschrieben („In der ersten Reihe – Aufzeichnungen eines Unerschrockenen“, „Über das Alter – Ein Gespräch mit Cato über Jugendwahn, Weisheit und Vergänglichkeit“, „Alter Mann, was nun? Zwischenrufe aus der letzten Reihe“). Darin reflektiert er mitunter augenzwin-kernd über seine Karriere und das Älterwerden. Heinz Dürr, der sein Büro am Berliner Gendarmenmarkt hat, ist in der Bundeshauptstadt ebenso vernetzt wie in seiner schwäbischen Heimat.