Klare Kante
20.03.2020
Autos lackieren ist eine Kunst für sich. Karosserien mit Streifen oder Kontrastfarben zu lackieren kostet die Hersteller besonders viel Zeit und Material. Einen Ausweg bietet EcoPaintJet. Das neue System von Dürr arbeitet so genau, dass kein bisschen Lack mehr danebengeht.
Der Roboterarm bewegt sich über die Karosserie, der Applikator an seinem Ende trägt in sauberen Bahnen schwarzen Lack auf. Immer breiter wird der dunkle Streifen, dessen Ränder sich messerscharf abheben. Entwickler Hans-Georg Fritz freut sich über diesen Erfolg. „Endlich haben wir eine Möglichkeit gefunden, um Lack ohne Verlust vollkommen präzise aufzutragen.“ Das Verfahren von Dürr heißt EcoPaintJet und ist seit vergangenem Jahr in der Automobilindustrie im Einsatz.
Mit EcoPaintJet haben Fritz und sein Team ein Problem gelöst, an dem die Branche seit Langem arbeitet. Jeder kennt es, der schon einmal mithilfe einer Sprühdose Glitzerlack aufgetragen hat. Die Farbe landet nicht nur auf dem gewünschten Gegenstand, sondern auch daneben. In den Autofabriken hat dieses Problem einen Namen. Die Fachleute sprechen von Lacknebel oder Overspray.
Im Lauf der Jahre ist es den Entwicklern von Dürr zwar gelungen, die Menge des Oversprays durch bessere Zerstäuber deutlich zu verringern. Doch auch mit der besten aktuell verfügbaren Technologie landen noch immer mindestens 20 Prozent der Lackmenge ungenutzt neben der Karosserie.
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→ Say Goodbye to Masking: EcoPaintJet Pro
Ein präziser Lackauftrag ist besonders wichtig, wenn Hersteller Autos in mehreren Farben lackieren. Das kommt immer häufiger vor. Denn individuell gestaltete Fahrzeuge liegen im Trend. Manche Käufer wünschen sich Autos mit Zierstreifen auf der Motorhaube, andere wollen die komplette Dachfläche in einem anderen Ton. Bei Elektroautos bieten sich Kontrastfarben besonders an. Durch ihre großen Batterien im Fahrzeugboden wachsen manche Modelle etwas in die Höhe. Mit den richtigen Streifen am Schweller oder am Übergang vom Dach zur Seitenwand wirken die Autos flacher und sportlicher.
Was im Ergebnis elegant aussieht, ist in der Produktion mühsam. Denn erst einmal muss die komplette Karosserie durch die Lackierstraße fahren. Wenn alles trocken ist, kleben Arbeiter Schutzfolie auf, sodass nur die gewünschten Flächen frei bleiben. Dann folgt ein weiterer Lackiervorgang, anschließend werden die Schutzfolien abgezogen. Eine Vergeudung von Arbeitszeit, Lack und Folienmaterial. Abgesehen von dem Schaden für die Umwelt geht diese Arbeitsweise ins Geld. Durch manche Lackierstraßen ziehen pro Jahr Zehntausende von Karosserien, die mehrere Farben erhalten.
Das Geheimnis der Düsenplatte
Erste Ideen für ein günstigeres Verfahren entstanden im Jahr 2008. Im Dürr-Technikum am Firmensitz in Bietigheim-Bissingen tüftelten die Entwickler an einer Lösung. Dort stehen Labortische und eine Lackierkabine mit Roboter, um die neu entwickelten Bauteile gleich in der Praxis zu testen. Hans-Georg Fritz nimmt eine hauchdünne Metallscheibe zur Hand. „Das ist die Düsenplatte, das Herzstück des EcoPaintJets“, sagt der Chemieingenieur. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man mehr als 50 winzige Löcher auf der Fläche. Durch sie schießen keine Tröpfchen, sondern genau dosierte Lackstrahlen auf die Karosserie.
Bevor die Düsenplatte fertig war, gab es jedoch noch wichtige Fragen zu klären. Mit welcher Geschwindigkeit soll der Lack auf die Karosserie treffen? Wie klein müssen die Löcher sein und wie groß der Abstand zur Oberfläche, damit die Strahlen nicht zu Tröpfchen zerfallen? Jede Antwort erforderte Recherchen, Simulationen und unzählige Tests.
Die winzigen Öffnungen auf der Düsenplatte zustande zu bringen, war bereits eine Herausforderung. „Das Problem kennt jeder, der schon mal Löcher in eine Wand gebohrt hat“, sagt Fritz. Die Löcher werden fast immer ein wenig schief. Für die Düsenplatte bedeutet das: Die Lackstrahlen treffen nicht mehr in gleichem Abstand voneinander auf die Karosserie, sodass auf einigen Stellen Farbe fehlt. Und wie wurde das Problem gelöst? Fritz grinst. „Das bleibt unser Geheimnis.“
Der am Roboterarm sitzende Applikator des EcoPaintJet arbeitet präzise wie ein Tintenstrahldrucker. Trotzdem hat Dürr dieses Funktionsprinzip nicht übernommen. „Tinte ist wie Wasser, Lack dagegen ist zähflüssig. Und deswegen ist seine Verarbeitung wesentlich komplizierter“, erklärt Fritz. Eine einzige verstopfte Düse könnte in der Lackierstraße hässliche und teure Fehler verursachen. Aus diesem Grund waren auch die großen Hersteller von Autolacken an der Entwicklung beteiligt. Über Jahre hinweg rührten sie immer wieder neue Mischungen an – bis die Qualität stimmte.
Wer mit Hans-Georg Fritz spricht, merkt schnell, dass EcoPaintJet nicht nur zielsicher Lack aufträgt. „Der Applikator ist eingebettet in ein digitales System.“ Ein Roboterarm führt ihn sicher auf dem zweckmäßigsten Weg mit 30 Millimeter Abstand über die Karosserie. Dabei folgt er den Anweisungen der Software, in der die Karosserieabmessungen hinterlegt sind. Es gibt jedoch ein Problem. „Auch Karosserien für dasselbe Modell weisen winzige Unterschiede auf“, sagt Fritz. Abweichungen von bis zu zwei Millimetern sind üblich – zu viel für einen perfekten Lackauftrag.
Deshalb geht eine Kamera vor dem Lackieren in wenigen Sekunden die gesamte Fläche ab und vergleicht das Messergebnis mit den hinterlegten Daten. Eine spezielle Software in der Steuerung korrigiert daraufhin alle Lackierbahnen, die der Applikator anlegen soll. Wellen und Rundungen gleicht er aus, indem er sich zum richtigen Zeitpunkt leicht dreht und damit die Form seiner Bahnen an die der Karosserie anpasst. „Nur wenn alle Einflussgrößen exakt aufeinander abgestimmt sind, erhalten wir ein optimales Lackierergebnis“, sagt Fritz.
Im Jahr 2019 ging der EcoPaintJet im ersten Autowerk in Betrieb. Zukünftig soll er in immer mehr neuen Lackierstraßen stehen, auch vorhandene Anlagen können nachträglich umgerüstet werden. Überhaupt sei das Interesse an der neuen Technologie enorm, sagt Produktmanager Meinhard Lutsch. Nicht nur, weil bei der Fertigung mehrfarbiger Autos keine Zusatzarbeiten mehr anfallen, sondern auch, weil die Produktion nachhaltiger wird: Bei der Karosserietrocknung sinkt der Energieverbrauch um bis zu 25 Prozent. Und pro Auto werden rund 15 Quadratmeter Schutzfolie eingespart.
Endlich haben wir eine Möglichkeit gefunden, um Lack ohne Verlust vollkommen präzise aufzutragen.
Einsatz bald im Flugzeugbau?
Nirgendwo stellen Kunden so hohe Ansprüche an die Lackierung wie in der Automobilindustrie. Deswegen muss die Technik besonders hochwertig sein – und andere Branchen können sie problemlos übernehmen. „Wir sind zum Beispiel mit einem Hersteller von Garagentoren in Kontakt“, sagt Lutsch.
Dass sich das Lackieren ohne Overspray durchsetzen wird, davon sind die Entwickler bei Dürr überzeugt. Deshalb wollen sie, dass die Technik noch vielfältiger einsetzbar wird. Ihr neuestes Modell heißt EcoPaintJet Pro. Er unterscheidet sich von seinem Vorgänger darin, dass sich jedes einzelne Loch in der Düsenplatte öffnen und schließen lässt. „Dadurch lassen sich Produkte noch individueller gestalten“, sagt Lutsch. Es ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten, im Serienbetrieb grafische Elemente auf Karosserien darzustellen.
Nicht nur Autohersteller, auch Flugzeugbauer interessieren sich für den EcoPaintJet Pro. Mit seiner Hilfe könnten sie manche Logos und Dekore auf ihren Maschinen schneller und einfacher auftragen.
In den Köpfen der Ingenieure und Software-Experten von Dürr reift derweil schon die nächste Vision. Sie wollen immer größere Bereiche einer Autokarosserie ohne Overspray lackieren können – und eines Tages auch komplette Fahrzeuge.