Neue Horizonte
Um den Boom des elektrischen Fahrens in ihrem Land zu nutzen, errichten chinesische Automobilhersteller in kurzer Zeit neue Produktionsanlagen. Dürr hilft ihnen mit ausgewiesener Expertise.
Der Kunde hatte großes Vertrauen in uns.
Peter Lee , Vertriebsdirektor von Dürr in China
Im Sommer 2017 erhält Peter Lee in Schanghai einen Anruf. Bei dem Vertriebsdirektor von Dürr meldet sich ein Manager von Sokon. Der chinesische Autohersteller baut ein Werk. Dort wird unter anderem sein neuer elektrischer SUV vom Band laufen. Das Modell soll mit seiner großen Reichweite nicht nur technisch führend sein, sondern auch gut aussehen und effizient hergestellt werden. Deshalb braucht Sokon eine hervorragende Lackiererei. Möglichst schnell. Lee reist zum Kunden, organisiert Treffen, brütet mit Technikern über der Planung. Dann macht er ein Angebot. Sokon willigt ein – gerade mal acht Wochen nach dem ersten Anruf. „Der Kunde hatte großes Vertrauen in uns“, sagt Lee. Normalerweise dauere diese Phase mindestens ein halbes Jahr.
Dürr ist in der chinesischen Autobranche bekannt. Seit Jahren baut das Unternehmen dort Lackierlinien – auch für Hersteller von elektrisch betriebenen Fahrzeugen. „Dank unserer Erfahrung können wir nicht nur Maschinen und Anlagen liefern, sondern unsere Kunden auch aktiv bei der Planung ihrer Lackierlinie unterstützen“, sagt Lee. Junge Elektromobilhersteller wie Sokon profitieren von diesem Ingenieurwissen, weil es die Planung beschleunigt.
Nicht selten drängen chinesische Elektroautobauer zur Eile. Der Staat fördert alternative Antriebe, um die Luftqualität in den Großstädten zu verbessern, und ermuntert die Hersteller, mehr elektrische Autos zu produzieren. Vergangenes Jahr knackte das Land die Millionengrenze. Die Beratungsfirma PwC schätzt, dass die Zahl der reinen E-Autos und Plug-in-Hybride in China bis 2022 auf 4,4 Millionen steigen wird. Ein Hersteller, der seine Elektrofahrzeuge rechtzeitig im Verkaufsraum stehen hat, kann die günstige Marktlage früher nutzen.
Neue Fabrik in der Industrieregion Chongqing
Erst 2017 erhielt Sokon von der chinesischen Regierung die Lizenz zur Produktion von E-Autos, seitdem drückt man aufs Tempo. Die neue Fabrik des Unternehmens, an dem auch der chinesische Autokonzern Dongfeng beteiligt ist, steht in Chongqing. In dem südwestchinesischen Industriezentrum wohnen 30 Millionen Menschen. Zahlreiche Hersteller und Zulieferer haben sich in den vergangenen Jahren hier angesiedelt. Dürr stellte gleich nach dem Start der Gespräche mit Sokon ein Team zusammen, das ausarbeitete, wie die Lackiererei beschaffen sein muss. Dazu gehörten Jack Zhang und Daniel Zhang.
Mit Unterstützung der Kollegen in Deutschland rechneten sie unter anderem aus, wie viele Lackier- und Nahtabdichtungsroboter der Hersteller braucht, damit die geplante Stückzahl von über 30 Autos pro Stunde erreicht wird. Dank der Unterstützung durch Dürr konnte Sokon den eigenen Aufwand für die Planung in Grenzen halten. Während andere Autohersteller oft zehn eigene Leute allein für die Konzeption der Roboterlinie abstellen, war Sokon mit nur einer Person schlank aufgestellt. Jun Deng, Lackieranlagenspezialist bei Sokon, stand im engsten Austausch mit Dürr, damit Planung und Umsetzung des Projekts reibungslos funktionierten.
In der neuen Fabrik sollen mehrere Modelle lackiert werden können. Unterschiede zwischen den Autos müssen die Planer daher von Anfang an berücksichtigen. Der elektrische SUV von Sokon ist lang gestreckt, mit prägnanten Linien auf der Karosserie. Es gibt zudem einige Feinheiten, in denen sich strombetriebene Autos von herkömmlichen unterscheiden. Der Elektromotor braucht weniger Platz, dafür fällt die Bodengruppe höher aus, weil dort die Batterie sitzt. Das kann sich auf den Lackierprozess auswirken, aber auch auf die Versiegelung von Hohlräumen.
Dürr plante ebenfalls die Fördertechnik, die die Autos durch die Lackiererei bewegt. Dazu gehört ein Hochregallager, wo die Karosserien für kurze Zeit abgestellt werden können. Hinzu kommt ein moderner Trockenabscheider, er bindet übrig gebliebene Tröpfchen aus dem Lacknebel ohne Chemikalien. Moderne Ablufttechnik sorgt dafür, dass Lösemittelbestandteile aus der Luft entfernt werden.
Beim Produktionsprozess setzte Sokon auf traditionelle Verfahren. Das Unternehmen entschied sich dafür, Karosserien nach der Grundierung im Tauchbecken mit Füller zu beschichten, einem Lack, der kleinste Unebenheiten ausgleicht. Erst dann folgen Basis- und Klarlack.
Die neue Generation
Für Spitzentechnologie entschied sich Sokon auch bei den Lackierrobotern. Als erstes chinesisches Werk setzt Chongqing die neuen Modelle von Dürr mit sieben Achsen ein. Ein zusätzliches Gelenk macht den Arm des EcoRP E043i besonders beweglich. Der Zerstäuber an seinem Ende gelangt an schwer erreichbare Stellen im Inneren der Karosserie. Früher montierte man den Roboter dafür auf Verfahrschienen, sodass er seinen Standort verändern konnte. Sie brauchen Platz und kosten zusätzliches Geld. Der Siebenachser kommt ohne sie aus.
Die Planer von Dürr errechneten für Sokon einen Bedarf von insgesamt 63 Robotern, 36 davon übernehmen die Lackierarbeit. Die anderen versiegeln Karosserien oder öffnen Motorhauben, Heckklappen und Türen, damit Lack und Nahtabdichtung auch dort aufgetragen werden können. Die elektronisch gesteuerten Systeme für Farbaufbereitung und Reinigung kamen ebenfalls von Dürr.
4 Fragen an Jun Deng, Lackieranlagenspezialist bei Sokon
WARUM HAT SOKON SICH BEIM BAU DER NEUEN LACKIERANLAGE IN CHONGQING FÜR DÜRR ENTSCHIEDEN?
Gleich nach der Gründung von Sokon begannen wir mit der Planung eines High-End-Automobilwerks. Als wir den Markt recherchierten, stellten wir fest, dass fast alle hochwertigen Autos in Fabriken mit Lackieranlagen von Dürr produziert wurden. Viele dieser Werke sind weltbekannt und bestehen schon seit etlichen Jahren. Daher wussten wir, dass Dürr ein professionelles, reifes und zuverlässiges Unternehmen ist.
WAS WAREN DIE GRÖßTEN HERAUSFORDERUNGEN, DIE SIE ZUSAMMEN MIT DÜRR WÄHREND DER PLANUNGSPHASE DER NEUEN LACKIERANLAGE BEWÄLTIGEN MUSSTEN?
Sokon war ein neu gegründetes Unternehmen, und obwohl das Planungsteam über entsprechende Erfahrungen verfügte, hatten die Kollegen noch nie eine High-End-Lackieranlage entworfen oder realisiert. Außerdem hatten wir von der Planung bis zur Serienproduktion einen sehr straffen Zeitplan. Daher war es eine große Herausforderung, innerhalb kürzester Zeit umfangreiche technische Gespräche zu führen und das Konzept auszuarbeiten.
WIE HAT SOKON ALS NEUER ELEKTROFAHRZEUGHERSTELLER VON DER ERFAHRUNG PROFITIERT, DIE DÜRR IM LACKIERANLAGENGESCHÄFT HAT?
In der Planungsphase lieferte Dürr ein professionelles und fortschrittliches Konzept, das als Grundlage für Sokons topmoderne Lackieranlage mit hohem Automatisierungsgrad diente. In der Implementierungsphase waren wir vom professionellen und hoch effizienten Ansatz von Dürr begeistert, durch den wir den Bau der Anlage rechtzeitig abschließen konnten.
WIE BEURTEILEN SIE DIE ZUSAMMENARBEIT MIT DÜRR?
Die Dürr-Mitarbeiter arbeiten nicht nur professionell, sondern auch sehr engagiert. Dürr führte das Projekt über weite Teile sehr effizient durch und lieferte einen hohen Qualitätsstandard, ohne uns in Anspruch nehmen zu müssen. Die Umsetzungskompetenz der Mitarbeiter war sehr gut, was uns wirklich beeindruckt hat.
Der Bau der Roboter erfolgte am Konzernsitz in Bietigheim-Bissingen. Da die neue Robotergeneration zum ersten Mal an einen Empfänger in Übersee ging, mussten die bislang verwendeten Transportkisten für den Seetransport verändert werden. „Die Roboter haben einen anderen Schwerpunkt als ihre Vorgängermodelle. Deswegen galt es, die Transportkisten neu zu konstruieren, damit sie beim Versand nicht umkippen“, sagt André Thurner, der die chinesischen Kollegen von Deutschland aus unterstützte.
Normalerweise werden Roboter in Container verpackt, auf Schiffe verladen und über die Weltmeere transportiert – das kann bis zu sechs Wochen dauern. „Da bei diesem Auftrag die Zeit drängte, haben wir einen Teil der Ladung per Eisenbahn verschickt“, berichtet Thurner. Vom Verladebahnhof Duisburg aus reisten die Roboter über Polen und Russland nach Zentralchina. Lastwagen brachten sie die letzten Kilometer nach Chongqing. Zwei Wochen hat dieses Vorgehen eingespart.
Im März 2018 erreichten die Roboter ihr Ziel. In der Zwischenzeit hatten Fachleute von Dürr das Gebäude vorbereitet, die Fördertechnik installiert und die übrigen Anlagen montiert. Im Juli begann der Testbetrieb. Zunächst schoben sich 10 Karosserien pro Stunde durch die Lackiererei, zum Jahreswechsel waren es rund 15. Seitdem steigt die Zahl weiter. Vertriebsdirektor Lee ist sehr zufrieden. Er freut sich über das gute Ergebnis – und auf die nächste Chance, junge chinesische Autobauer bei der Realisierung ihrer Visionen zu unterstützen.
7-Achs Roboter EcoRP E043i in Aktion...
Elektromotoren setzen sich aus mehreren Komponenten zusammen, eine von ihnen ist der Elektroanker. Damit der Motor einwandfrei funktioniert, muss der Anker unbedingt schwingungsarm laufen. Die Hersteller wuchten die Elektroanker deshalb aus. Die 2018 vorgestellte Auswuchtmaschine eTENO der Dürr-Tochter Schenck ist bestens für die vollautomatische Serienfertigung von Elektromotoren geeignet und arbeitet dabei mit höchster Präzision. Sie lässt sich in Fertigungsleitsysteme und andere IT-Netzwerke einbinden.
Noch unterscheiden sich die Karosserien von Elektroautos kaum von denen herkömmlicher Autos. Im Detail gibt es jedoch Differenzen. Zum Beispiel der Schweller, ein Bereich unterhalb des Türeinstiegs. Er muss bei E-Autos verstärkt sein, um die Batterie bei einem Seitenaufprall zu schützen. Der frisch lackierte Schweller des E-Autos trocknet im warmen Luftstrom eines herkömmlichen Trocknungstunnels aber sehr langsam. Der Dürr-Karosserietrockner EcoInCure bläst die heiße Luft deshalb durch die Windschutzscheibenöffnung auf die Bauteile. Dafür werden die Karosserien quer durch den Trockner bewegt. Die Trocknung verläuft schonender, eine Überhitzung dünnerer Karosserieteile wird vermieden, die Qualität der Lackierung steigt. Außerdem ist EcoInCure sparsam. Der Stromverbrauch sinkt um 25 Prozent.
Die Batterie ist der wertvollste Bestandteil eines Elektroautos. Die schweren Stromspeicher funktionieren aber nur dann zuverlässig, wenn ihre
Temperatur im Betrieb stets zwischen 20 und 40 Grad gehalten wird. Deshalb benötigen sie Kühlmittel. Bis zu 60 Liter davon müssen in der Fabrik eingefüllt werden. Um die Taktzeiten einzuhalten, muss das schnell vor sich gehen. Der Befüllspezialist Dürr Somac bietet mit ProLine die geeignete Anlage. Sie erzeugt vor der Befüllung ein Vakuum im Kühlsystem. Mit hohem Druck wird das Kühlmittel anschließend eingefüllt. Dank ihres Aufbaus ist die Anlage flexibel einsetzbar. Neben Batterien lassen sich mit ihr auch Kupplungen, Kühler oder Servolenkungen mit flüssigen Betriebsmitteln befüllen.