Die neue Generation von Prüfständen
12.02.2019
Interview mit Roland Spieß, Geschäftsführer von Dürr Assembly Products
Dürr Assembly Products hat eine neue Generation an Prüfständen für teilautonom und autonom fahrende Fahrzeuge vorgestellt. Roland Spieß, Geschäftsführer des führenden Anbieters für Prüftechnik, erläutert im Interview die zukunftsträchtigen Besonderheiten von x-around und x-road curve.
BIS 2020 WOLLEN VIELE AUTOMOBILHERSTELLER UND ZULIEFERER DAS HOCHAUTOMATISIERTE FAHREN UMSETZEN. DIE WELTWEITE AUTOMOBILINDUSTRIE BEFINDET SICH MITTEN IM WANDEL. WIE HAT MAN SICH BEI DÜRR ASSEMBLY PRODUCTS AUF DIESE ENTWICKLUNG EINGESTELLT?
In Erwartung dieses Fortschritts hat Dürr Assembly Products bereits 2016 mit der Entwicklung neuer Konzepte und Anlagen zur Prüfung hochautomatisierter Fahrzeuge begonnen. Somit sind wir in der Lage, diese neuen Technologien unter unserem Motto „Leading in Autonomous Vehicle Testing“ schon 2018 in den Markt einzuführen.
ENDE SEPTEMBER WURDEN DIE NEUEN PRÜFSTÄNDE FÜR AUTONOMES FAHREN BEI KUNDENTAGEN VORGESTELLT. WAS HABEN DIE KUNDEN DABEI ZU SEHEN BEKOMMEN?
Als Pionier von Fahrerassistenzsystemprüfständen haben wir der zukünftigen Entwicklung vorausgegriffen und eine neue Generation von Prüfständen entwickelt. Im Rahmen der Kundentage wurden → x-around und → x-road curve einem internationalen Fachpublikum vorgestellt. Wir haben ihre Vielseitigkeit und Einzigartigkeit anhand vorbereiteter Prüfszenarien eindrucksvoll demonstriert. Sehr wertvoll waren auch der Austausch und die Fachgespräche mit den internationalen Teilnehmern. Da zusätzlich zu den europäischen Top-OEM’s und First Tier Supplier auch Fahrzeug- und Systemhersteller aus Nordamerika, Japan und China teilgenommen hatten, gab es interessante Diskussionen und zusätzliche Impulse.
WAS SIND ENTSCHEIDENDE NEUERUNGEN BEI X-AROUND?
Ein zentraler Baustein des End-of-Line-Prüfbereichs für teilautonom und autonom fahrende Fahrzeuge ist der Multi-Sensor-Kalibrier-Prüfstand → x-around. Hier werden die Sensoren autonom fahrender Fahrzeuge kalibriert. Für konstante Bedingungen sorgt eine lichtundurchlässige Kabine, die den gesamten Prüfstand einfasst. Gleichzeitig ist x-around höchst flexibel und erweiterbar aufgebaut. Der Prüfstand kann individuell an die wachsenden Anforderungen der Fahrzeugsensoren angepasst werden. Neue Darstellungsmöglichkeiten über Monitore und Beamer ermöglichen es erstmals, unterschiedliche Kalibriermuster und dynamische Szenen anzuzeigen. Zusätzlich zur statischen Kalibrierung werden zukünftig auch dynamische Funktionstests, wie zum Beispiel das Fahrverhalten bei typischen Verkehrssituationen, durchzuführen sein.
UND WAS IST DIE BESONDERHEIT BEIM X-ROAD CURVE?
Der → x-road curve eröffnet noch nie dagewesene Möglichkeiten bei der Prüfung teilautonom bzw. autonom fahrender Fahrzeuge und setzt richtungsweisende Impulse. Mit diesem innovativen Multifunktionsprüfstand werden autonom fahrende Fahrzeuge dynamisch getestet. Zusätzlich zu den klassischen Funktionen eines Rollenprüfstands können Fahrzeuge hier bei hohen Geschwindigkeiten unter Einbeziehung der Lenkfunktion getestet werden. Näher an reale Verkehrssituationen kommt kein Prüfstand. Diese zusätzliche Funktion kann übrigens in alle bestehenden x-road Prüfstände nachträglich integriert werden.
DIE AKZEPTANZ DES AUTONOMEN FAHRENS HÄNGT STARK MIT DEM THEMA SICHERHEIT ZUSAMMEN. HAT DIE PRÜFTECHNIK VOR DIESEM HINTERGRUND BESONDERS AN BEDEUTUNG GEWONNEN?
Natürlich ist die Vermeidung bzw. Minimierung von Unfällen ein Schlüsselfaktor für den Erfolg solcher Systeme. Die gesellschaftlichen und individuellen Erwartungen an die technische Perfektion autonom fahrender Fahrzeugen steigen. Entsprechend bekommen die korrekte Kalibrierung und die zuverlässige Prüfung des autonomen Fahrzeugs eine ganz neue Bedeutung für unsere Produkte. Sie setzen hierbei seit Jahren Maßstäbe in punkto Genauigkeit, Reproduzierbarkeit und Verfügbarkeit.
Seit dem 1. Mai 2018 ist Roland Spieß Vorsitzender der Geschäftsführung von Dürr Assembly Products, einer Tochterfirma des Dürr-Konzerns.
Sein Werdegang bis dahin: Nach einem Maschinenbaustudium an der TU Berlin arbeitete er zunächst als Trainee bei der Schindler Aufzügefabrik in Berlin. 1997 trat er in das Familienunternehmen ein und übernahm den Vertrieb für Werkzeugmaschinen und Sondermaschinen der Handhabungstechnik und Montageautomation. Ab dem Jahr 2000 hatte er die Geschäftsführung inne.
Von 2004 bis Ende April 2018 war Roland Spieß bei KUKA beschäftigt, zunächst als Key Account Manager für Kunden aus der Automobilindustrie. Dreieinhalb Jahre lang arbeitete er für den Roboterhersteller in Detroit, USA, und baute das Key Account Management in Nord- und Südamerika für Kunden aus der Automobilzulieferindustrie auf, ehe er hierfür die globale Leitung übernahm. Im Jahr 2010 wurde Roland Spieß Vice President der Division Metal & Arc Welding bei der KUKA Roboter GmbH in Augsburg und war hier zuständig für Vertrieb und Produktmanagement.
Autonomes Fahren: Der Wandel in Zahlen
Aktuellen Studien zufolge werden sich die Umsätze der Branche bis 2030 von heute 3,4 auf 6,6 Billionen US-Dollar fast verdoppeln. Neben neuen Mobilitätsdienstleistungen und der Elektrifizierung wird das autonome Fahren einen wesentlichen Anteil an der Umsatzsteigerung haben.
Im Jahr 2016 wurde nur rund ein Prozent der verkauften Fahrzeuge mit einfachen teilautonomen Fahrzeugfunktionen ausgestattet. Mittlerweile haben 80 Prozent der Top-Ten-OEMs die Einführung hochgradig autonomer Technologie angekündigt, die bis 2025 für die Straße bereitstehen soll.
Umsätze der Branche in US-Dollar.
WIE WICHTIG IST EINE ENGE ZUSAMMENARBEIT MIT DEN AUTOMOBILHERSTELLERN? INWIEFERN WAREN DIESE IN DEN ENTWICKLUNGSPROZESS DER NEUEN PRÜFSTÄNDE INVOLVIERT?
Speziell bei den neuen Prüfständen waren und sind wir auf die Zusammenarbeit mit den Fahrzeugherstellern, First Tier Suppliern, Partnerfirmen und Universitäten angewiesen. Aufgrund der Komplexität und Vielfältigkeit des Themas ist ein gesamtheitlicher Lösungsansatz nur mit mehreren Kooperationspartnern möglich. Dabei ist es wichtig, die Probleme der Kunden im Auge zu haben, um die richtigen Use-Cases zu entwickeln.
KÖNNEN SIE EINE SOLCHE KOOPERATION NÄHER BESCHREIBEN?
Ja, gern. Einer unserer wichtigsten Kooperationspartner ist die AVL List GmbH. Mit unserem neuen x-road curve und der Simulationsplattform von AVL List demonstrieren wir – zum Beispiel auch bei unseren Kundentagen – wie Simulation und Fahrzeugprüfung effizient miteinander kombiniert werden können. Denn daraus lassen sich Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit von Fahrerassistenzsystemen vor der Auslieferung des Fahrzeugs an den Kunden ziehen.
Als Pionier von Fahrerassistenzsystemprüfständen haben wir der zukünftigen Entwicklung vorausgegriffen.
WO SEHEN SIE DIE KÜNFTIGEN ENTWICKLUNGSSCHWERPUNKTE VON DÜRR ASSEMBLY PRODUCTS?
Autonomes Fahren bedeutet nicht nur für den Verbraucher neue Möglichkeiten, auch der Fertigungsprozess wird davon betroffen sein. Das Potenzial autonom fahrender Fahrzeuge könnte man auch zur fahrerlosen Bewegung der Fahrzeuge im Anschluss an die Montage nutzen. Dabei ist die fahrerlose Bewegung der Fahrzeuge durch die Prüfstände im End-of-Line nur der Anfang. Vervollständigt werden diese zukünftigen Szenarien durch vollautomatische Prozesse bei der Prüfung und Einstellung.
Folgerichtig liegen unsere Entwicklungsschwerpunkte in der fortlaufenden Automatisierung der End-of-Line-Prüfstände, zum Beispiel durch den Einsatz kollaborierender Roboter, die parallel zum Werker Aufgaben wie die Scheinwerfereinstellung übernehmen können. Natürlich stellen Industrie 4.0 und IIoT weitere Schwerpunkte dar. Hier gilt es, bereits vorhandene und zusätzliche Anlagen- und Prozessdaten so zur Verfügung zu stellen, dass der Kunde über neue Apps und Services Produktions- und Instandhaltungsprozesse effizienter gestalten kann.